Auf 6,7 Billionen Euro belief sich 2017 das Kontraktvolumen allein im Dax-Future. Nur der EuroStoxx50-Future verzeichnet an der Terminbörse Eurex noch höhere Umsätze. Institutionellen Investoren und Privatanlegern stehen etliche Dax-ETFs und mehrere Hunderttausend Derivate zur Verfügung, um direkt oder indirekt auf das wichtigste deutsche Börsenbarometer zu setzen.
Damit ist der Dax 30 Jahre nach seiner Einführung genau das Instrument, als das er seinerzeit konzipiert wurde: ein investierbarer Index, der zugleich als Gradmesser und Leitindex für den Finanzplatz Deutschland dient.
Indizes gab es schon vor der Dax-Einführung in ausreichender Zahl. Neben der Börsen Zeitung (BZ) veröffentlichten die Frankfurter Allgemeine, die Süddeutsche, die Welt und der Finanzdatenanbieter Vereinigte Wirtschaftsdienste (vwd) einen Index. Auch Commerzbank, West LB, die Frankfurter Wertpapierbörse und die Deutsche Gesellschaft für Anlageberatung sowie das Statistische Bundesamt berechneten bereits Barometer für den deutschen Aktienmarkt.
„Eine neue Maßzahl konnte entweder nur eine bis dato unbesetzte Marktnische indizieren oder wäre ziemlich bedeutungslos gewesen“, so Frank Mella, 1988 Redakteur der Börsen Zeitung (BZ) und maßgeblich an der Entwicklung des Dax beteiligt. Als Erfolg versprechende Nische sollte sich die Konstruktion als Laufindex herausstellen – bis dahin Alleinstellungsmerkmal des BZ-Index. Alle anderen Indizes wurden einmal täglich auf Basis der Kassakurse gegen 12:15 Uhr berechnet.
Weil Ende der 1980er Jahre längst nicht alle deutschen Aktien ausreichende Umsätze verzeichneten, wurde der Index auf 30 Schwergewichte begrenzt. Sie repräsentierten fast 80 Prozent der Umsätze und gut 59 Prozent der gesamten Marktkapitalisierung deutscher Aktien. Zudem sorgte die Festlegung für eine unkomplizierte Verkettung mit dem ebenfalls 30Titel umfassenden BZ-Index und damit eine einfache Rückberechnung zur Risikobewertung von Anlagestrategien. Durch seine Verkettung mit den Vorgängern startete der Index mit einer Historie von mehr als 28 Jahren.
Die Erstnotiz erschien am 1.7.1988 um 11:39 Uhr und 42 Sekunden: 1.163,52 Punkte. Genau 30 Jahre später notiert der Dax bei 12.306,00 Zählern: ein Plus von 957,65 Prozent, das einer jährlichen Rendite von 8,18 Prozent entspricht. Zwischen diesen beiden Zeitpunkten gab es stattliche Haussen und schwere Baissen, turbulente Tage und Wochen, Fusionen, Abspaltungen, Auf- und Absteiger, Rückkehrer und kurze Gastspiele Doch der bekanntermaßen wechselvollen Kurshistorie und der ganz unterschiedlichen Entwicklung einzelner Dax-Unternehmen zum Trotz weist der deutsche Leitindex eine bemerkenswerte Konstanz auf: Anders als bei den später gestarteten, unterhalb des Dax angesiedelten MDax, SDax und Tec-Dax (zuvor Nemax) gab und gibt es keine grundlegende Neuausrichtung.
Lediglich kleinere Revisionen waren neben den regelmäßigen Anpassungsterminen vonnöten. So sorgte die Platzierung der zweiten Tranche von Aktien der Deutschen Telekom 1999 dafür, dass sich das Gewicht der T-Aktie im Dax schlagartig von 6 auf 14 Prozent erhöhte. Eine Gewichtung, die sich nach den Vorschriften des Kapitalanlagegesetzes in einem Fonds nicht nachbilden ließ.
Konsequenz war die Einführung einer Kappungsgrenze, die das Gewicht von Einzeltiteln an den Revisionsterminen auf 15 Prozent begrenzte. Seit 2006 liegt diese Grenze bei 10 Prozent. Da sich die Gewichtungen je nach Kursentwicklung verschieben, erreichte die T-Aktie im Frühjahr 2000 dennoch ein Gewicht von fast 20 Prozent. Da sich 60 Prozent der Aktien in Besitz des Bundes befanden, drohten Handelsengpässe.
Im Herbst des Jahres wurde daher beschlossen, nur noch die frei handelbaren Aktien zu berücksichtigen. Die Umsetzung folgte zwei Jahre später: „Seit 24.6.2002 ist der Dax so, wie ich ihn immer wollte“, kommentiert Index-Mitentwickler Mella.
Der Dax startet am 1. Juli mit einem Indexstand von 1.163,52 Punkten. Virtuell erfolgte der Start bereits zum Jahresbeginn, Startkurs am 31. Dezember 1987: 1.000 Punkte.
Preussag und Metallgesellschaft steigen in den Dax auf. Weichen müssen die übernommene Feldmühle Nobel und die mit Siemens fusionierte Nixdorf.
Die Frankfurter Wertpapierbörse baut eine Marketingabteilung auf, um den Dax im Ausland noch bekannter zu machen. Besonders im Visier hat sie Investoren aus den Finanzzentren des Fernen Ostens Tokio, Singapur und Hongkong.
Als breiteres Barometer wird der Dax 100 eingeführt. Sein Nachfolger HDax umfasst heute die 30 Dax-Aktien sowie die 50 MDax- und die 30 SDax-Titel.
Ein weiteres klassisches Industrieunternehmen scheidet aus dem Dax aus. Aufgenommen wird der Software-Konzern SAP aufgrund einer höheren Marktkapitalisierung.
Der größte Börsengang in der Dax-Geschichte spült 13 Milliarden Euro in die Kassen des ehemaligen Staatskonzerns. Die Nachfrage überstieg das Angebot um das Fünffache.
Da der Parketthandel nur noch einen marginalen Anteil an den Gesamtumsätzen hat, wird der Dax ausschließlich aus den Preisen der elektronischen Handelsplattform Xetra berechnet.
Eine der spektakulärsten Übernahmeschlachten in der Dax-Geschichte endet mit dem Aufkauf der Düsseldorfer Mannesmann durch den britischen Telekomkonzern Vodafone. Im selben Jahr wird der Euro eingeführt.
Die Aktionärsquote in Deutschland erreicht ihren Höhepunkt. Mit fast 13 Millionen Besitzern von Aktien oder Aktienfonds gibt es mehr als doppelt so viele Aktienanleger wie noch 1997.
Die Aktionärsquote in Deutschland erreicht ihren Höhepunkt. Mit fast 13 Millionen Besitzern von Aktien oder Aktienfonds gibt es mehr als doppelt so viele Aktienanleger wie noch 1997.
Nach den größten Verlusten seiner Geschichte – das Minus beträgt 72,92 Prozent seit dem Hoch im Jahr 2000 – setzt der Dax ab März zur Erholung an.
Aber ist er auch das, was viele außerdem in ihm sehen – eine Benchmark für den deutschen Kapitalmarkt oder gar die Gesamtwirtschaft? Letztere kann er fraglos nur unzureichend abbilden. Klar sein muss Investoren zum einen, dass es in Deutschland etliche Großunternehmen gibt, die nach Umsatz unter den Top 20 rangieren, aber nicht börsennotiert sind. Dazu zählen beispielsweise Rewe, Edeka, Bosch und die Deutsche Bahn.
Zum anderen bildet der Dax einen an der Marktkapitalisierung gemessen zwar großen, aber nicht jederzeit repräsentativen Ausschnitt der Gesamtheit deutscher Aktienunternehmen ab. Der 1996 eingeführte und zum virtuellen Dax-Start am 31.12.1987 ebenfalls auf 1.000 Punkte basierte MDAX etwa notiert heute mehr als doppelt so hoch wie der deutsche Leitindex. Er gilt vielen Experten aufgrund des breiteren Branchenmix sowie der enthaltenen Maschinenbauer, Automobilzulieferer und anderen Industrieunternehmen als besserer Indikator für die stark mittelständisch geprägte deutsche Wirtschaft.
Der deutsche Aktienmarkt ließe sich besser abbilden, meint daher Dirk Schiereck. Der Professor am Institut für Unternehmensfinanzierung der TU Darmstadt sieht in der geringen Zahl der enthaltenen Werte ein Manko des Dax: „Als größte Volkswirtschaft der EU haben wir einen der kleinsten Indizes“, sagt der Wissenschaftler, der es gern gesehen hätte, dass der Dax zum Jubiläum auf 50 Titel aufgestockt wird.
Tatsächlich berechnen das Vereinigte Königreich, Frankreich, Italien und Spanien ihre Leitindizes auf der Basis einer größeren Zahl von Einzeltiteln; gleichzeitig liegt das Verhältnis der Marktkapitalisierung der jeweiligen Benchmark zum BIP in Deutschland mit rund 50 Prozent auf einem deutlich niedrigeren Niveau als in etlichen anderen EU-Ländern.
Ursprünglich hatte der Leitindex für den deutschen Aktienmarkt auf den Namen KISS hören sollen – nach dem gleichnamigen, im Vorjahr an mehreren Börsenplätzen eingeführten Kursinformations-Service-System. Kolportierter Spott von der britischen Insel, Deutschland plane einen Kuss-Index, sorgte schnell für ein Umdenken.
Auf den Namen Dax kam schließlich Manfred Zaß, damals stellvertretender Vorsitzender der Frankfurter Börse sowie Vorstandsmitglied der DGZ-Bank und damit einer der Gründungsväter der Deka. Bei einem Spaziergang mit seinem Hund sei ihm der Name eingefallen, berichtet Zaß. Unterwegs war er entgegen Vermutungen aber keineswegs mit einem im Volksmund „Dackel“ genannten Dachshund, sondern mit einem Labrador.
Der Mannesmann-Prozess um überzogene Prämienzahlungen im Zuge der Übernahme durch Vodafone beginnt. Minuten vor Prozessauftakt kommt es zur Victory-Geste des Deutsche-Bank-Chefs und Mannesmann-Aufsichtsrats Josef Ackermann.
„Für den Deutschen Aktienindex Dax sagen die Strategen im Durchschnitt ein Jahresendniveau von fast 4.600 Punkten und damit ein Plus von mehr als 7 Prozent voraus“, heißt es in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 23. Dezember 2004. Tatsächlich kommt es weit besser: Der Index legt gut 28 Prozent zu und beendet das Jahr auf einem Stand von 5.447 Punkten. Der dritte Jahresgewinn in Folge.
Inflationsängste lösen eine deutliche Korrektur im Mai und Juni aus. Sorgen über einen übermäßigen Preisanstieg erweisen sich jedoch schnell als unbegründet, es folgt ein fulminantes zweites Halbjahr. Bilanz zum Jahreswechsel: ein weiteres Plus von 22 Prozent.
Im Juli 2007 klettert der Dax über die bisherige Höchstmarke aus dem Jahr 2000 und erreicht am 13. Juli 2007 8.151,57 Punkte.
Die Subprime-Krise reißt die US-Investmentbank Lehman Brothers in den Ruin – und weltweit geraten viele Finanzinstitute aufgrund fauler Kredite unter Druck. Die Finanzmärkte kollabieren, der Dax erleidet mit einem Minus von 39,95 Prozent den zweitgrößten Jahresverlust seiner Geschichte.
Im März ersetzt Hannover Rück den Technologiewert Infineon im Dax aufgrund einer höheren Marktkapitalisierung. Bereits im September wird der Rückversicherer wegen zu geringer Umsätze wieder aussortiert: Stunde des zweiten Aufstiegs von Infineon.
Mit der überhöhten Staatsverschuldung Griechenlands nimmt die Euro-Krise ihren Anfang. Nach und nach geraten etliche Peripheriestaaten unter Druck. Die Folgen sind bis heute unübersehbar.
Der einstige Dax-Aspirant Q-Cells, gelistet im TecDax, verbucht ein Minus von 79 Prozent; Solarworld büßt die Hälfte seines Börsenwerts ein. China reißt die vermeintlichen Stars von morgen in die Krise. Auch für den Dax selbst läuft es nicht. Er geht mit einem Minus von 14,7 Prozent aus dem Jahr.
EZB-Präsident Mario Draghi kündigt an,alles zu tun, um eine weitere Verschärfung der Krise zu verhindern. Zu seinem Instrumentarium zählt das aus den USA bekannte „quantitative Easing“: das in Europa noch immer nicht beendete Anleihekaufprogramm.
Der Dax nimmt gleich etliche Hürden: Nach dem Überspringen des fünf Jahre alten Rekordstands klettert er auch über die 9.000er- und schließlich kurz vor Jahresende über die 9.500er-Marke. Mario Draghi und der „Helicopter Ben“ getaufte US-Notenbankchef Ben Bernanke haben entscheidenden Anteil an der Hausse.
Der Dax notiert erstmals über der Marke von 10.000 Punkten, und Deutschland wird zum zweiten Mal seit Start des Dax Fußball-Weltmeister.
16. März 2015: Der Dax knackt erstmals die 12.000-Punkte-Marke und steht zum Handelsschluss bei 12.167,72 Punkten. Dann dreht die Stimmung, im Herbst sackt der Index auf nur noch knapp über 9.400 Zähler. Das Jahresende bleibt mit einem Plus von 9,54 Prozent aber versöhnlich.
Der 45. Präsident der USA heißt Donald Trump. Die Märkte bewegt das nur kurz. Zwei Jahre später wird Trump etliche Dax-Unternehmen mit seiner Zollpolitik vor neue Herausforderungen stellen und Investoren neuerlich verunsichern.
Eine über sechs Jahre währende Aufwärtsphase gab es für den Dax nie zuvor. Dazu liegt die Volatilität nahe historischer Tiefstände.
Bislang dreimal wurde der Dax auf Basis der Schlusskurse von 31 Aktien berechnet, um Kursverzerrungen zu vermeiden. Dabei ging es jeweils um eine Trennung von Unternehmensteilen
• 31. Januar 2005: Lanxess von Bayer |
• 8. Juli 2013: Osram von Siemens |
• 12. September 2016: Uniper von E.ON |
„Mehr Aktien bedeuten mehr Transaktionen, was die Informationsfunktion fördert“, argumentiert Schiereck. Zudem ergäbe die Aufnahme von 20 MDax-Titeln in den Dax einen ausgewogeneren Branchenmix, der die Volatilität senken und die Performance erhöhen könnte. Genau das mag einer der Gründe sein, aus denen von Schierecks Institut befragte Investoren einen Dax 50 nicht uneingeschränkt begrüßen. Denn angesichts der höheren Diversifikation und anderer Performance-Charakteristika ließe er sich voraussichtlich schwieriger übertreffen. Was Indextrackern entgegenkäme, würde dabei die Hürden für aktive Manager erhöhen.
Auf Seiten der Börse besteht aber ohnehin kein Interesse an einer größeren Neuausrichtung. Investoren werden daher weiterhin auf ein bewährtes und nachweislich erfolgreiches Indexkonzept vertrauen können. Ob die kommenden 30 Jahre ähnlich verlaufen werden wie die vorangegangenen, kann niemand zuverlässig vorhersagen. Sollte er seine Geschichte wiederholen, dann stünde der Dax im Jahr 2048 bei gut 169.000 Punkten. In einer aktuellen Umfrage der Welt am Sonntag zeigen sich führende Kapitalmarktexperten zwar etwas zurückhaltender, aber dennoch optimistisch: Im Durchschnitt erwarten sie für 2048 einen Stand von 87.375 Punkten, ganze 572 Prozent mehr als heute. Dem Anleger bleibt da nur die Empfehlung: Unterschätzen Sie die Zukunft nicht.