Abnahme

Deka Institutionell Investment-Konferenz 2022

„Die Bürger haben ein Gefühl dafür, dass etwas nicht stimmt“

Steckt unsere Demokratie in der Krise? Die Unzufriedenheit mit politischer Willensbildung in der Bundesrepublik war Umfragen zufolge noch nie so groß wie jetzt. Gleichzeitig macht die Politik den Eindruck, mit der Vielzahl an Herausforderungen nicht mehr Schritt halten zu können. Wie gefährdet ist unsere Demokratie und wie lässt sie sich stabilisieren? Auf der Deka Institutionell Investment-Konferenz wurde diesen Fragen nachgegangen.

Dezember 2022

„Wir leben in einer Phase großer politischer Probleme, in der viele richtige, aber auch viele falsche Entscheidungen getroffen wurden. Darunter waren auch solche Entscheidungen, die man sich vorher nicht hat vorstellen können, wie etwa den ersten Lockdown. Vor allem die Frage, wie diese Entscheidungen letztendlich getroffen wurden, sorgt nun wiederum für das Bedürfnis, grundsätzlich über Demokratie nachzudenken.“ So beschreibt Professor Armin Nassehi, Inhaber des Lehrstuhls für Soziologie an der Ludwig-Maximilians-Universität München, auf der diesjährigen Deka Institutionell-Investment-Konferenz das Stimmungsbild in Deutschland. Er berichtet von einer hohen Nachfrage von Parteien, Verbänden und Unternehmen nach Gesprächen und Vorträgen über Wesen und Funktion der Demokratie in Deutschland.

Die Deka hat die Frage nach dem Zustand der Demokratie bewusst in den Mittelpunkt der Veranstaltung gestellt. Unter dem Titel „Welt im Wandel, Werte im Wandel – wie gestalten wir als Gesellschaft die Demokratie von morgen?“ sollten tatsächliche oder wahrgenommene Defizite der Demokratie analysiert und Perspektiven aufgezeigt werden.

Zukunftsangst und Misstrauen nähren Skepsis.

Die Gesellschaft erlebt derzeit eine Phase anhaltender Unruhe. Die Aneinanderreihung von Krisen zieht Konsequenzen nach sich, die von vielen als deutlich negativ erfahren oder auch nur empfunden werden. Auf der einen Seite belastet die Verteuerung von Benzin und Gas infolge des Ukraine-Krieges gerade einkommensschwache Bevölkerungsschichten faktisch überproportional stark. Auf der anderen Seite sehen weite Teile der Bevölkerung die Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie, wie Ausgangssperren, Maskenpflicht oder die Impfpflicht für bestimmte Berufsgruppen, als Eingriff in ihre Persönlichkeitsrechte.

Die Gemengelage aus Zukunftsangst und Misstrauen gegenüber den politischen Entscheidungsträgern und Institutionen führte so zu einer wachsenden Skepsis gegenüber dem demokratischen System westlich-liberaler Prägung. Im „Deutschland-Monitor“ des Ostbeauftragten der Bundesregierung von September 2022 äußerten sich nur rund 59 Prozent der Westdeutschen (2020: 65 Prozent) und nur noch 39 Prozent (2020: 48 Prozent) der Ostdeutschen zufrieden mit der Art und Weise, wie Demokratie in Deutschland funktioniert. Gleichzeitig zeigt der wirtschaftliche Erfolg Chinas, dass die liberalen Demokratien westlicher Prägung keineswegs alternativlos sind, wenn es um den Aufbau von Wohlstand geht. Ist die Demokratie angesichts der Vielzahl an Herausforderungen und Erwartungen im Wettbewerb mit autokratischen Systemen gefährdet?

Anlässe, um sich mit dem Zustand der Demokratie zu beschäftigen, sieht auch der Journalist und Autor Jan Fleischhauer in seinem Vortrag: „Die Bürger haben ein Gefühl dafür, dass etwas nicht stimmt.“ Die Corona-Pandemie habe gezeigt, dass Versammlungs- oder Gewerbefreiheit jederzeit außer Kraft gesetzt werden könne.

Demokratie und Kompetenz – ein Widerspruch?

Sind Demokratien überhaupt geeignet, um die anfangs erwähnten Probleme zu lösen? „Von ihrer Grundidee her können sie das gar nicht“, betont Professor Nassehi. Schon Aristoteles habe auf das Problem hingewiesen, dass Mehrheitsentscheidungen nicht unbedingt von Sachkenntnis gekennzeichnet seien. Der Punkt berührt ein Thema, dass auch in der Kritik an der Demokratie immer wieder vorgebracht wird: der Vorwurf fehlender Expertise von Politikern bei immer komplexer werdenden Fragestellungen. Für den Universitätsprofessor geht diese Kritik aber an der eigentlichen Aufgabe von Politik in einer Demokratie vorbei. Gerade weil die Fragestellungen immer komplexer würden, sei es notwendig, Kompetenzen auf den Ebenen auszubauen, auf denen in demokratischen Gesellschaften die eigentliche Arbeit gemacht werde – beim Staatsapparat, den Ministerien und Verwaltungen. Auf der politischen Ebene hingegen reiche es aus, Mehrheiten zu organisieren.

In der Kompetenzfrage sieht der Soziologe aber ein wesentliches Element für die Stabilität einer Demokratie: „Es gibt auch in Deutschland ein Unbehagen, dass die Dinge nicht richtig funktionieren. Wenn rund 60 Prozent der Befragten in Umfragen keiner Partei die Lösung der Probleme zutrauen, dann ist das ernst zu nehmen. Offensichtlich haben wir es in vielen Bereichen der Gesellschaft mit einem Kompetenzproblem zu tun. Denn die Defizite bei der Bahn oder der fehlende Datenaustausch zwischen Verwaltungen hierzulande haben mit Demokratie nichts zu tun – das sind Kompetenzfragen.“

Repräsentationslücke gefährdet Stabilität der Demokratie.

Allerdings könnten diese Probleme langfristig die Demokratie gefährden. Denn aus der Skepsis gegenüber der Funktionsfähigkeit der Verfahren könne sich eben auch eine Opposition gegen das ganze politische System entwickeln. Demokratien seien dann stabil, wenn die Menschen das Gefühl hätten, dass ihre Lebenswelten stabil seien. Für Jan Fleischhauer spielt dabei auch die Frage eine Rolle, ob man den Menschen das Gefühl vermitteln könne, dass ihre Lebenssituation anerkannt werde. Er sieht in der Repräsentationslücke von Teilen der Gesellschaft eine Gefährdung der Stabilität der Demokratie: „Viele Menschen fühlen sich in der Elite nicht mehr repräsentiert, sei es in der Sprache, bei der Auswahl der Leistungsträger in der Politik oder auch bei den Problemen, mit denen sich Politik beschäftigt.“

Trotzdem sei die Diagnose einer Spaltung der Gesellschaft in Deutschland falsch, hebt Nassehi hervor. Empirische Untersuchungen würden auf eine Differenz zwischen der veröffentlichten Meinung und dem Gefühl der Menschen hinweisen. Der Soziologe spricht in diesem Zusammenhang von der wahrgenommenen Krise. Das Krisengefühl sei zwar unzweifelhaft da, führe aber nicht zu einer Spaltung der Gesellschaft. Von einer Spaltung lässt sich seiner Auffassung nach dann sprechen, wenn es eine Achse gibt, an der alle Themen differenziert werden. Als Beispiel nennt er die radikale Elitenskepsis in den USA, die letztendlich zu hohen Corona-Todesraten geführt habe, obwohl die USA über eines der leistungsfähigsten Gesundheitssysteme der Welt verfügen.

Neben diesen Aspekten der Gefährdung von Demokratie aus ihrem Inneren heraus steht eine veränderte Herausforderung von außen. Nach dem Zweiten Weltkrieg galt die liberale westliche Demokratieordnung als Vorbild für viele Staaten. Aber dieses Bild hat Kratzer bekommen. Nassehi sieht vor allem den Zerfall der demokratischen Routinen in eigentlich demokratischen Staaten mit Sorge. So würden in den USA etablierte Verfahren, etwa die Wahlen, zunehmend in Frage gestellt. Dies führe in Kombination mit den verschiedenen sozialen und politischen Krisen der vergangenen Jahre dazu, dass autokratische Systeme heute wesentlich selbstbewusster auftreten. Während man in China noch vor einigen Jahren eingeräumt habe „noch nicht soweit zu sein“ (für die Demokratie westlicher Prägung), sprächen politische Vertreter heute zunehmend von einer Alternative zum westlichen Demokratiesystem, das letztendlich mit der Förderung individueller Interessen erst die Probleme schaffe, die es dann lösen müsse.

Unsere Demokratie ist heute kein Selbstläufer. Um sie zu stabilisieren mahnt der Professor aus München eine Verbesserung der Korrektur- und Revisionsfähigkeit von politischen Entscheidungen an. Fehler müssten deutlicher als bislang politisch aufgearbeitet und daraus gelernt werden, sonst werde die Demokratie auch in Deutschland Schaden nehmen.

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