Abnahme

Konjunktur

„Weltweit herrscht Wachstum“

Die Stimmung bei den Unternehmen ist aktuell alles andere als rosig. Preisschübe, Lieferengpässe und wegbrechende Märkte machen ihnen zu schaffen. Auch Anlegende müssen sich angesichts dieser Ereignisse ihre Gedanken machen. Doch die Deka-Strategen geben vorsichtige Entwarnung: Crash- und Untergangsszenarien halten sie für abwegig.

April 2022

Der Huangpu-Fluss wälzt sich träge durch die chinesische Metropole Schanghai. Brücken überspannen ihn, doch in diesen Tagen herrscht dort absolute Stille. Die Behörden haben die Stadt abgeriegelt, um den Anstieg der Covid-Fälle einzudämmen. Dabei geht es nicht nur um die Gesundheit von mehr als 20 Millionen Einwohnern – was hier passiert, müsste geradezu Schockwellen in eine verunsicherte Weltwirtschaft senden. Es geht um strauchelnde Unternehmen, steigende Rohstoffpreise, gestörte Lieferketten und schwächelnde Aktienmärkte. Und doch war die coronabedingte Vollbremsung in Schanghai hierzulande jüngst nur eine Randnotiz.

Denn durch den Krieg in der Ukraine hat eine neue Krise Deutschland erreicht. Die Unternehmen schrauben ihre Erwartungen für die kommenden Monate in Rekordtempo zurück. „Wir schlittern von Krise zu Krise. Das wird im Unternehmenssektor deutliche Bremsspuren hinterlassen, denn wir sind bereits in einer technischen Rezession, das heißt, wir schreiben zwei negative Quartale hintereinander. Die Frage ist, wie tief und wie lange diese ausfallen wird“, hält Joachim Schallmayer, Leiter Kapitalmärkte und Strategie bei der Deka, nüchtern fest. Und da sind Ereignisse wie die Abriegelung in Schanghai gedankliche Fußnoten – auch wenn sie tatsächlich enorme Auswirkungen haben.

Inflation ist nicht zu stoppen.

Inflation ist nicht zu stoppen

Kaufkraft von sechs Milliarden Euro weg.

Wie sehr sich die Entwicklung für Unternehmen und damit auch für Anlegende eintrüben kann, beschreiben Ökonomen aktuell im Tagesrhythmus. „Die russische Attacke dämpft die Konjunktur über deutlich gestiegene Rohstoffpreise, die Sanktionen, zunehmende Lieferengpässe bei Rohmaterialien und Vorprodukten sowie erhöhte wirtschaftliche Unsicherheit“, sagt ifo-Konjunkturchef Timo Wollmershäuser. Insgesamt geht durch den Anstieg der Verbraucherpreise allein im ersten Vierteljahr 2022 Kaufkraft in Deutschland von etwa sechs Milliarden Euro verloren.

Unsicherheit ist aber das, was Unternehmer und Anlegende am meisten irritiert. Die Folge: Die Stimmung in der deutschen Wirtschaft bricht ein, der Dax tendiert seit Wochen seitwärts, im Jahresvergleich hat er kräftig nachgegeben. Der ifo-Geschäftsklimaindex ist im März auf 90,8 Punkte abgestürzt, nach 98,5 Punkten im Februar, was ein guter Wert war. Die Unternehmen in Deutschland rechnen mit harten Zeiten.

Er denke zwar nicht in „Crash- oder Weltuntergangsszenarien“, sagt Christoph Witzke, Leiter Anlagestrategie und Head of CIO-Office bei der Deka, aber: „Wir bekommen ein höheres Preisniveau. Für ein bis zwei Quartale halte ich auch einen Rückgang des BIP für möglich. Ab Herbst könnte es besser werden. Für Anlegende muss eine alte Börsenweisheit daher entsprechend angepasst werden: ‚Buy in May‘.“ Witzke erwartet, dass Dividendentitel besser abschneiden: „Bei zyklischen Werten wie Konsumwerten, Automobilaktien oder Technologietiteln würde ich momentan vorsichtig agieren.“ Anlegende sollten Risiken streuen und in „fossile wie nachhaltige Titel investieren“. Rüstungsaktien? Witzke glaubt, dass dort viel Aufwärtspotenzial eingepreist sei: „Die Hersteller müssen erst mal liefern können.“

Schallmayer ergänzt: „Trends drehen sich gerade um.“ Inzwischen entwickelten sich die traditionellen Schwergewichte, Value-Aktien also, besser als Growth-Aktien, in denen wie etwa bei IT-Titeln schnelles Wachstum eingepreist ist. Er empfiehlt ein „gut diversifiziertes Portfolio. Defensive Werte etwa aus dem Pharma- und Telekombereich sowie gute Dividendenzahler können auf lange Sicht für Stabilität sorgen. Wir gewichten sie stärker als etwa Unternehmen aus dem Konsumgüterbereich. Aber auch Technologieaktien bleiben wichtig; insgesamt gilt es, zwischen den Unternehmen aktiv zu selektieren.“

Unternehmen schnallen den Gürtel enger.

Während Anlegerinnen und Anleger gewisse Ausweichstrategien nutzen könnten, stellen sich Unternehmen und ihre Mitarbeitenden darauf ein, den Gürtel enger zu schnallen. Dies spiegelt sich bereits in der Einstellungsbereitschaft der Unternehmen in Deutschland wider. Das ifo-Beschäftigungsbarometer, wo Ökonomen nicht nach dem Geschäftsklima fragen, sondern wissen wollen, wer neue Stellen plant, ist im März auf 102,1 Punkte gefallen, der niedrigste Wert seit Mai 2021. Deutschlandweit senken Ökonomen die Daumen, die kräftige Erholung nach Corona ist bis auf Weiteres abgesagt.

Etwas optimistischer ist Deka-Stratege Schallmayer, wenn er feststellt: „Es gibt keine weltweite Rezession. Im Gegenteil: Weltweit herrscht Wachstum. USA, China und auch EU-Europa werden in diesem Jahr wachsen. Davon profitieren auch deutsche Unternehmen, die weltweit ihre Absatzmärkte haben.“ Aber auch er sieht deutliche Risiken: „Hohe Energiepreise und eine mangelnde Verfügbarkeit von Materialien belasten uns mehr als fehlende Absatzmärkte in der Ukraine und Russland.“

Beide Deka-Experten, Witzke und Schallmayer, weisen auf die Risiken hin, die von der Geldpolitik drohen. „Die hohe Inflationsrate wird sinken. Allerdings wird sie sich auf höheren Niveaus als vor der Coronakrise und dem Krieg in der Ukraine einpendeln“, schätzt Schallmayer. „Die Notenbank kommt nicht darum herum, allein um ihr Gesicht zu wahren, die Zinsen zu erhöhen. Das macht das Finanzierungsumfeld für Unternehmen schwieriger“, fügt Witzke hinzu. „Auch wenn die nominalen Zinsen steigen, wird der reale Zinssatz negativ bleiben. Damit entspannt sich das Umfeld für Anleger nicht“, sagt Schallmayer.

Bei den Unternehmen lösen die Vorhersagen der Ökonomen, die ja letztlich auf der Einschätzung der Betriebe basieren, neue Unsicherheit aus. So ist der Mangel an Halbleitern für viele Unternehmen inzwischen existenzbedrohend. „Wenn sich die Lage nicht bald bessert, gerät ein zweistelliger Prozentsatz der Betriebe in große Schwierigkeiten“, warnte jüngst Peer-Michael Dick, Hauptgeschäftsführer des Verbands Südwestmetall. Er berichtet von einer gewissen Kreativität, wenn er den Fall eines verzweifelten Maschinenbauers beschreibt, der eigens 100 Waschmaschinen aufgekauft und ausgeschlachtet hat, um an die begehrten Halbleiter für die eigene Produktion zu kommen.

Bei Südwestmetall räumt man ein, dass die Politik kurzfristig wenig machen kann. „Man sollte aber ermöglichen, dass sich Unternehmen zusammenschließen, um so gemeinsam mit einer größeren Marktmacht mehr Chips beschaffen zu können“, erklärt Dick. Dies werde durch die geltenden Kartellregelungen verhindert. Hier müsse man zeitnah gegensteuern. Grundsätzlich geht es Verbänden und Unternehmen aber darum, dass wieder mehr in Europa produziert wird. Die EU will daher die europäische Chipversorgung stärker auf eigene Füße stellen. Sie fördert den Bau neuer Fabriken wie der Dresdner Chip-Fabrik von Bosch.

Baumaterial ist extrem teuer geworden.

Alarm herrscht nicht nur bei denen, die auf Halbleiter angewiesen sind, sondern inzwischen auch am Bau, jahrelang ein Boom-Bereich. Material sei nicht mehr erhältlich oder habe sich enorm verteuert. „Helle Aufregung“ konstatiert deswegen etwa Christian Ullrich vom Arbeitgeberverband der Bauwirtschaft des Saarlandes. Der Transport von Baumaterial sei um bis zu einem Viertel teurer als bisher. Dachdecker und Verputzer berichteten davon, dass Lieferanten von Folien gar keine Bestellungen mehr annähmen. Auch Baustahl kommt nicht nach. Der Grund: Rund 30 Prozent des Baustahls und 40 Prozent des Roheisens kommen aus Russland, der Ukraine und Belarus.

„Auf diese Art und Weise haben wir das noch nie gehabt“, sagt Dirk Emser, Geschäftsführer der Asphaltbaufirma Backes im saarländischen Tholey und meint damit die enormen Preissteigerungen beim Asphaltbindemittel Bitumen. „Bislang kostet die Tonne Bitumen 400 Euro, jetzt sind es 700 Euro.“ Bauunternehmen haben üblicherweise feste Verträge mit den Lieferanten. Aber die hätten die Verträge nun aufgekündigt und verlangten Tagespreise. Hinzu komme der Dieselpreis. In Emsers Firma werden pro Jahr 2,5 Millionen Liter Diesel verbraucht. Er fordert jetzt wie die meisten betroffenen Bauunternehmen, dass es in Verträgen mit Bauherren sogenannte Gleitklauseln geben müsse. Diese Klauseln erlauben eine Anpassung der kalkulierten Materialpreise, wenn ein Bauunternehmen keinen Einfluss auf die Entwicklung der Einkaufspreise für Baustoffe und Betriebsstoffe hat. Dann soll künftig der Kunde mehr zahlen.

Gewinner sind in der aktuellen Situation eindeutig die Rohstofflieferanten in Mittelost sowie in einigen lateinamerikanischen Staaten, die nicht zuletzt von den Bemühungen Deutschlands profitieren, sich unabhängiger von russischen Gas- und Öl-Lieferungen zu machen. Sichtbar wird das bereits an der Börse: Dort ist der Öl- und Gasförderer Saudi-Aramco auf dem Weg, Apple als wertvollstes Unternehmen der Welt abzulösen.

Ist das alles ein Gruselszenario? Nein – aber es ist vielleicht der Worst Case. Es gibt auch ein Best-Case-Szenario. Zum Beispiel, wenn der Frieden wieder in Europa einzieht, wenn sich dadurch die Energiepreise beruhigen, die Inflation nachlässt und sich die Energiewende dennoch beschleunigt. Wenn die Unternehmen und insbesondere der wendige Mittelstand seine Anpassungsfähigkeit unter Beweis stellt und in der Krise auf Innovation setzt. Die Deka-Volkswirte setzen eher auf diese Entwicklung: Für die weltweiten Aktienmärkte erwarten sie im Jahresverlauf 2022 eine Erholung, sodass eine Änderung der langfristigen
Anlagestrategie als Reaktion auf den Russland-Ukraine-Krieg weiterhin nicht angezeigt sei. Aber alle diese Prognosen, sagen sie, „basieren nicht zuletzt auch auf unserer Hoffnung, dass in Europa bald wieder Frieden einkehrt“.

Quelle: fondsmagazin.de
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