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Trends und Innovation

Mehr als nur eine Evolution - 5G ist ein Quantensprung.

Die neue Mobilfunktechnik 5G ist mehr als nur ein schnelleres Internet für unterwegs: Mit der verzögerungsfreien Übertragung großer Datenmengen bekommen Unternehmen bei der digitalen Vernetzung gewaltigen Rückenwind – und Anleger neue Möglichkeiten.

Februar 2021

Geisterstunde in Ludwigshafen: Ein fahrerloser Transporter rollt auf eine Fabrikhalle des BASF-Stammsitzes zu. Dort steht ein Ingenieur, schraubt an einer Maschine und redet mit Technikern in der Wartungszentrale, die ihn per Headset und Augmented-Reality-Brille Handgriff für Handgriff anleiten. Nur ein leises Piepen hier und da macht deutlich: Jeder Zentimeter der zehn Quadratkilometer großen Anlage ist ständig durch Sensoren unter Kontrolle. Läuft irgendwo etwas unrund, schickt die künstliche Intelligenz der Datenzentrale sofort elektronische Hilfe in die Steuergeräte. Der Chemie-Riese ist einer der ersten Großkonzerne, die mit einer innovativen Technologie ihre Produktion und Logistik neu erfinden wollen: mit 5G. Das superschnelle Mobilfunknetz macht es möglich, fließende Prozesse bei Transport, Fertigung oder Wartung ständig im Griff zu behalten – an jedem Ort und ohne Zeitverzögerung. Das alles geht nur mit 5G – der Technik, die derzeit weltweit mit Multimilliardenaufwand ausgerollt wird. Sie ersetzt erst die viel langsamere 3G-Übertragung ganz und perspektivisch auch das aktuell schnellste Netz 4G. Dieses Nervensystem der Digitalisierung wird das Geschäft der Telekommunikationsbranche ankurbeln, Technologiefirmen zu neuen Möglichkeiten führen, vor allem aber auch die Prozesse in Handel, Industrie, Energiebranche oder Landwirtschaft effizienter und ertragreicher machen. „Es ist ein Wachstumsmotor, gerade auch für die klassischen Industrien – und eine neue Welt der Perspektiven für die Aktionäre“, ist sich Andreas Wagenhäuser sicher. Der 5G-Experte managt den Fonds Deka-Digitale Kommunikation. Dort finden Anleger viele Firmen, die vom neuen Technikschub profitieren: bekannte Größen wie Deutsche Telekom und Nintendo, aber auch junge Unternehmen wie die Video-Sharing-Website Bilibili aus China.

Mehr als nur Evolution.

Wagenhäuser erklärt, warum das neue Netz nicht einfach nur eine Evolution der bestehenden Mobilfunktechnik ist: „5G ist ein Quantensprung.“ Damit können bis zu 1 Gigabit pro Sekunde ohne Zeitverzögerung übertragen werden und pro Funkzelle 100-mal mehr Teilnehmer gleichzeitig senden und empfangen, ohne dass das Netz langsamer wird. Für den privaten Nutzer werden so fließend laufende Live-Videos aus einem voll besetzten Fußballstadion möglich. Wer schon einmal in einer vollen Arena vergeblich nach dem Netz gesucht hat, wird das zu schätzen wissen. Die neue Technik kann aber auch Leben retten, etwa wenn bei Autobahnunfällen Fahrzeuge in Echtzeit die Daten eines nahenden Rettungswagens empfangen können. Die Autos würden dann selbstständig die Warnblinker einschalten und eine Rettungsgasse bilden.

Einen weiteren Vorteil der 5G-Technik erläutert Tristan Visentin, Wissenschaftler und Innovationsmanager am Fraunhofer-Institut: „Die Übertragungsleistung lässt sich mittels Network Slicing immer passend zu einzelnen Anwendungen einstellen“. Das bedeutet: Das Netz wird in verschiedene Schichten aufgeteilt. Im oberen Teil des Netzes telefoniert und sendet die Allgemeinheit. Darunter können einzelne „Untermieter“ auf exklusiven Frequenzen ganz eigene Arbeiten und Geschäfte tätigen. So wie BASF in seiner voll vernetzten Smart Factory.

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Der Chemiegigant ist nur eins von vielen Unternehmen, die ein firmeninternes 5G-Netz betreiben wollen, um Menschen und Maschinen zu vernetzen. Schon in vier Jahren werden nach einer Prognose des Netzwerkausrüsters Cisco rund 75 Milliarden Geräte weltweit mit dem Internet verbunden – vom Toaster daheim über den Thermostat im Büro bis zum Transporter auf der Autobahn oder der Turbine im Windkraftwerk. Die meisten Dinge werden drahtlos aus der Ferne gesteuert und gewartet.

Die US-Beratungsfirma IHS Markit prognostiziert, dass sich durch 5G das globale Wirtschaftswachstum bis 2035 um rund 3 Billionen Euro erhöht. „Es ist sehr wichtig, bei 5G weltweit nach Investitionsmöglichkeiten Ausschau zu halten“, betont Wagenhäuser. In China etwa entfalte sich die Dynamik besonders stark, weil allein 2021 rund 800.000 neue 5G-Sendemasten installiert werden. Die Telekom-Tochter T-Mobile USA erarbeitet sich gerade in den Vereinigten Staaten einen Vorsprung beim Netzausbau. Wer einen Qualitätsvorsprung erzielt, hat gute Chancen, mit der neuen Technologie neue Produkte und Dienstleistungen an den Markt zu bringen.

Neue Jobs und Umsätze werden dabei nicht nur bei Technologiefirmen wie Amazon, Apple oder Alibaba entstehen, sondern auch in klassischen Branchen wie Chemie, Energieversorgung und Autobau. Darunter sind viele zyklische Werte, wie die Börsianer all jene Industrieunternehmen nennen, die besonders am Puls der Konjunktur hängen. Deren Anleger hatten bisher von der Schubkraft der Digitalisierung nur unterdurchschnittlich profitiert. In der „5G Alliance for Connected Industries and Automation“ haben sich 5G-Anwender wie Sony, Siemens oder Audi mit Unternehmen wie der Deutschen Telekom, Infineon, Intel und Ericsson zusammengeschlossen, um das zu ändern.

Auch Bernd Köcher, Fondsmanager des Deka-Industrie 4.0, investiert in Unternehmen, die an solchen Entwicklungen besonders beteiligt sind: „Das Beste aus dem Technologie- und Industriesektor, ergänzt durch Sektoren, die durch Digitalisierung einen starken Wandel erfahren – wie etwa Onlinewerbung, E-Commerce und Medizintechnik.“ So beschreibt Köcher seine Strategie. Mit 5G bekommen beispielsweise die Maschinenbauer im Portfolio die Möglichkeit, Roboter noch effizienter einzusetzen.

2025 können die meisten Deutschen 5G nutzen.

Noch aber steckt das neue Netz in den Kinderschuhen. Telekom-Chef Timotheus Höttges hat ausrechnen lassen, dass allein der 5G-Ausbau in Europa bis zu 500 Milliarden Euro kosten wird. In vier Jahren allerdings sollen in Deutschland bereits 99 Prozent der Bevölkerung mit der Technik versorgt sein. Der fahrerlose Lkw könnte dann von Flensburg bis Freiburg unterwegs sein. Ob dann auch jeder Anwender, der das wünscht, so wie BASF sein eigenes Firmennetz in Betrieb hat? Da ist Christian Rusche vom Institut der Deutschen Wirtschaft skeptisch: Bis die Netzabdeckung überall stehe, seien „lange Genehmigungsverfahren und hohe Investitionen erforderlich”. Zudem ist auch die Sicherung der Netze eine Herausforderung. Wer seine Lastwagenflotte oder Kernkraftwerke ins drahtlose Netz bringt, möchte schließlich auch der Einzige sein, der auf den Datenfluss in der 5G-Cloud Zugriff hat.

Als Erste werden von der Jahrhundertinvestition 5G alle Firmen profitieren, die für den Aufbau der Infrastruktur sorgen: Baufirmen, Ausrüster, Komponentenhersteller, Prüffirmen sowie die Betreiber der Funktürme und der Netze. Sie werden dicht gefolgt von all jenen, deren Geschäft besonders mit dem Megatrend Digitalisierung verbunden ist: Streaming-Dienste, Onlinehandel oder Smartphone-Hersteller zum Beispiel. Die große Unbekannte sind all die Dienstleister, die erst durch die neue Technik entstehen werden, so Fraunhofer-Fachmann Visentin. Und auch, was die Betreiber der firmeneigenen Netze auf dem Betriebsgelände für Geschäftsideen entwickeln, wenn sie 5G etabliert haben, sei ungewiss.

Andreas Müller, Head of Communication and Network Technology bei Bosch, geht davon aus, dass es eine Vielzahl von neuen Betreibermodellen geben wird, die „vom kompletten Selbstbetrieb eines privaten 5G-Netzes bis hin zu einer kompletten Fremdvergabe“ reichen. Es wäre aber auch umgekehrt möglich: Ein Unternehmen konzentriert sich auf neue Möglichkeiten im eigenen Netz – und spaltet das Traditionsgeschäft davon ab. Anleger sollten diese Dynamik im Blick behalten, sich aber immer bewusst machen, dass Wertpapiere wie Aktien und Fonds dem Risiko des Wertverlusts unterliegen; allerdings mindert eine breite Streuung von Aktien verschiedener Firmen über Fonds dieses Risiko.

Bisher steht zwar noch nicht fest, zu welchen Konditionen die Bundesnetzagentur diese lokalen Frequenzen vergeben wird. Aus politischen Kreisen ist aber zu hören, dass durch die Preisgestaltung nicht nur Großkonzerne bei den schnellen Netzen zum Zug kommen werden. Landwirtschaftliche Betriebe sollen demnach deutlich weniger zahlen als Bayer, SAP oder Volkswagen. Neue Landmaschinen sind oft längst dafür vorbereitet. So stattet etwa der weltweit tätige Landtechnik-Hersteller Claas aus dem ostwestfälischen Harsewinkel einen Großteil seiner Neumaschinen bereits mit Hochleistungs-Mobilfunkmodems aus. „Damit können Dokumentations- und Optimierungsprozesse online durchgeführt werden“, so Manager Frank Drexler. Im Zusammenspiel mit GPS bekommen die Traktoren oder Mähdrescher auf dem vernetzten Acker Korrektursignale und können somit auf wenige Zentimeter genau arbeiten. Für den nächsten Innovationsschritt auf dem Bauernhof fehlt oft nur noch eins: der 5G-Sendemast.

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