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Research und Märkte

„Unternehmen müssen selbst Vorsorge treffen"

Die Vorsitzende der Wirtschaftsweisen Monika Schnitzer über den Wert von Prognosen in einer Welt, in der ständig alles anders kommt, den Staat als Retter, ein herausforderndes Jahr 2023 und die Männer im Rat der Weisen.

Januar 2023

Das Interview führte Peter Löwen.


Frau Professor Schnitzer, wenn Sie aus einer Helikoptersicht auf die ökonomische Lage schauen: Die Börsen haben den Crash vermieden, die Energiepreise sinken schon wieder und bei der Inflation könnte der Höhepunkt in Sicht sein. Ist mal wieder alles gut gegangen?

Gut gehen wird es nur dann, wenn sich die Menschen der Situation anpassen. Die Energiepreise sinken allmählich, weil auf der einen Seite gespart und auf der anderen das Angebot angepasst wird. Flüssiggas kommt an, die Speicher sind voll. Das reduziert die Unsicherheit. Und das drückt schon mal den Preis. Aber es gibt natürlich Risiken.

Selbst, wenn es mal heftig schwankt?

Auch bei meinen Geldanlagen am Aktienmarkt ist es in diesem Jahr nicht gerade aufwärts gegangen. Aber ich bin ja schon etwas länger Anleger. Darum weiß ich: Es gibt bei dieser Form der Vermögensbildung eben immer Schwankungen. Und solange ich in so einem Jahr wie diesem nicht größere Aktienpakete oder Fonds verkaufen muss, habe ich ja auch gar keinen echten Verlust realisiert. Auf mein persönliches Glück hat das von daher wenig Einfluss. Ich habe ja im Leben höchstwahrscheinlich noch genug Zeit, damit sich solche Schwankungen wieder ausgleichen.

Wir haben beim Gaseinkauf doch schon wieder übertrieben. Vor den Küsten gondeln Gastanker, die nicht gelöscht werden, weil sie zum gesunkenen Preis ihr Gas nicht verkaufen wollen. In einigen Ländern sind die Aufnahmekapazitäten für Flüssiggas bereits erschöpft.

Der Vorwurf geht in die falsche Richtung. Hätte sich Deutschland beim Gaseinkauf zurückgehalten, wäre der Ärger noch größer. Wir haben es ja damals bei den Impfstoffen gesehen. Da hat die Bundesregierung anfangs nicht zu jedem Preis alles gekauft, und die Kritik war groß.

Andere Länder machen uns aber genau den Vorwurf, dass wir den Preis nach oben und den Markt leer gekauft haben.

Das kann ich nachvollziehen. Eine bessere Absprache in der EU wäre gut gewesen.

Wie lautet Ihre Wachstumsprognose fürs kommende Jahr?

Minus 0,2 Prozent. Das ist eine erhebliche Diskrepanz zu unserer Frühjahrsprognose. Damals haben wir noch ein Plus von 3,4 Prozent erwartet. Wir hatten damit gerechnet, dass die Lieferketten sich weiter entspannen und das zum Wachstum beiträgt. Aber dann haben uns Energiekrise und Krieg ausgebremst.

Andere Volkswirte gehen von schlechteren Prognosen aus.

Wir haben das dritte Quartal 2022 schon eingerechnet und das ist besser gelaufen als erwartet. Deswegen ist unsere Prognose derzeit etwas positiver als die von anderen.

„Es wurde schnell auf Flüssiggas gesetzt. In Windeseile wurden der Einkauf auf den Weg gebracht, mobile LNG-Terminals beschafft und der Bau der Infrastruktur angestoßen. Ich hoffe, diese Geschwindigkeit ist jetzt auch Vorbild für das, was wir bei der Energiewende leisten müssen.“

Monika Schnitzer

Vorsitzende des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung

Was sind Prognosen eigentlich wert, wenn immer alles anders kommt, als man denkt?

Prognosen sind wichtig, um planen zu können, etwa den Bundeshaushalt und wie hoch die erwarteten Steuereinnahmen sein werden. Es hat sich aber eben sehr viel verändert. Wir hatten bei unserer Frühjahrsprognose noch keinen Rückgang der russischen Gasimporte eingerechnet. Preissteigerungen schon, aber eben keine Lieferausfälle. Das ist anders gekommen. Wir haben jetzt hintereinander zwei massive Krisen gehabt, die so niemand vorhergesehen hat. Zuerst Corona, mit Lockdowns, die gesundheitlichen Belastungen, die Lieferengpässe – und dann der Angriffskrieg auf die Ukraine mit seinen Folgen.

Stecken wir wirklich in einer Zeitenwende? Die Auseinandersetzungen mit Russland sind ja nicht vom Himmel gefallen. Und die Energie war doch in Wahrheit bisher viel zu billig.

In der öffentlichen Wahrnehmung gibt es diese Zeitenwende auf jeden Fall. Nach dem Mauerfall haben die allermeisten in Deutschland doch den Eindruck gehabt, der Antagonismus zwischen Ost und West sei überwunden und wir werden zusammenwachsen. Wir haben ganz bewusst die Handelsbeziehungen ausgebaut. Vielleicht war der Wunsch der Vater des Gedankens. Sonst hätten wir nicht diese Friedensdividende eingefahren und beispielsweise bei der Verteidigung gespart. Waren wir dabei wirklich naiv? Möglicherweise. Viele warnende Stimmen gab es jedenfalls nicht.

Donald Trump hat, was die Verteidigung und Nord Stream 2 anbelangt, beispielsweise gewarnt.

Trump ist noch nicht lange her. Und man konnte bei ihm leicht den Verdacht haben, er wolle vor allem US-amerikanisches Flüssiggas verkaufen.

Wenn Sie der Bundesregierung Noten geben sollten, welche Note geben Sie ihr für ihre Energiepolitik?

Ich vergebe keine Noten.

Also gut – wie bewerten Sie die Energiepolitik der Bundesregierung?

Da gab es einige gute und schnelle Entscheidungen. Es wurde schnell auf Flüssiggas gesetzt. In Windeseile wurden der Einkauf auf den Weg gebracht, mobile LNG-Terminals beschafft und der Bau der Infrastruktur angestoßen. Ich hoffe, diese Geschwindigkeit ist jetzt auch Vorbild für das, was wir bei der Energiewende leisten müssen. Wir brauchen schnellere Verfahren, um auch Erneuerbare auszubauen. Einspruchsmöglichkeiten beispielsweise für jeden neuen Bauabschnitt zuzulassen, das ist zu langwierig. Sie sollten in einem Schritt entschieden werden, wie jetzt beim Bau der LNG-Terminals.

Tesla hat in Grünheide auch in Nullkommanichts eine Fabrik hochgezogen. Es geht also.

Tesla ist ins Risiko gegangenen. Hätte es die Genehmigungen nicht bekommen, hätte die Fabrik zurückgebaut werden müssen. Dass Unternehmen so agieren, ist nicht gesetzt. Aber Beschleunigungsverfahren für Bauvorhaben sind im Koalitionsvertrag bereits verabredet. Klimaschutz vor Artenschutz ist so ein Prinzip, das das Bauen für die Energiewende beschleunigen kann.

Wie bewerten Sie die Sozialpolitik der Bundesregierung – insbesondere das neue Bürgergeld?

Es ist gut, dass hier ein neuer Name gefunden wurde. Gut ist auch, den Vorrang der Vermittlung in Arbeit abzuschaffen. Für stabile Beschäftigungen ist es wichtiger, dass die Menschen etwas lernen und, wo nicht vorhanden, einen Abschluss machen. Die Anhebung der Hinzuverdienstgrenzen ist auch gut. Wenn Jugendliche in einer Bedarfsgemeinschaft wie einer Familie hinzuverdienen, wurde das bisher eins zu eins abgezogen. Der Anreiz zu arbeiten sank damit ganz erheblich. Unterm Strich halte ich das Bürgergeld, so wie es am Ende im Vermittlungsausschuss zwischen Regierung und Opposition ausgehandelt worden ist, für vernünftig.

Quelle: fondsmagazin

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