Abnahme

Wie Fintechs, aber für Immobilien

Proptechs: Digitalisierung entlang der Wertschöpfungskette der Immobilienwirtschaft.

Steigende Nachfrage nach smarten Lösungen und riesige Potenziale – Kooperationen von Proptechs und etablierten Anbietern können die Chancen der Digitalisierung nutzen.

Längst können Sie Häuser noch vor dem ersten Spatenstich virtuell begehen. Vermittlungsplattformen nutzen intelligente Algorithmen, um Käufer/Mieter und Anbieter/Vermieter von Immobilien zusammenbringen. Algorithmen berechnen marktübliche Miet- und Objektpreise oder optimieren den Energie- und Wasserverbrauch. Mit der Menge der erfassten Daten werden auch neue digitale Lösungen für das Datenmanagement immer wichtiger.

Doch das Anwendungsspektrum digitaler Prozess und Produktoptimierung ist noch weit vielfältiger. Ähnlich wie im Finanzsektor gehen die Innovationen vor allem von Start-Ups aus. Diese werden im Immobilienbereich „Proptechs“ genannt – eine Kombination von „Property“ (Immobilie) und „Technology“. Weltweit gibt es derzeit rund 6.000 so genannte Proptechs, davon in Deutschland rund 400. Tendenz: steigend.

Künstliche Intelligenz (KI) in der Immobilienbranche.

Künstliche Intelligenz (KI)-basierte Innovationen gelten nach Meinung vieler Experten als die einflussreichsten der vergangenen Jahre. Die Immobilienbranche bildet da keine Ausnahme. Ob im Property Management, in der automatisierten Daten- und Vertragsanalyse oder bei der Due Diligence im Zusammenhang mit Transaktionen – intelligente „Datarooms“ haben das Potenzial, in den verschiedenen Geschäftsfeldern eine maßgebende Rolle zu spielen.

„Ein Großteil der Immobilienbranche ist bereits der Überzeugung, dass der
digitale Wandel Auswirkungen auf Ihr Unternehmen haben wird.“ 

Global Proptech Study 2018, KPMG

Eine vielversprechende KI-Lösung von Proptechs beispielsweise ist die Datenroboterlösung „Delphi“, die das Berliner Unternehmen Architrave im Januar 2019 vorgestellt hat. Ziel dieser digitalen Lösung ist es, den Ressourceneinsatz bei Routinetätigkeiten im Dokumenten-Management auf ein Minimum zu reduzieren. Denn mit Hilfe von KI kann Delphi alle für die Immobilienverwaltung relevanten Dokumente klassifizieren, benennen, relevante Daten automatisch extrahieren und diese in beliebige vordefinierte Ablagesysteme einsortieren. Der Clou: Je mehr Dokumente verarbeitet werden, desto besser wird das selbstlernende Programm. Auf diese Weise können sämtliche relevanten Dokumente, Daten, Auswertungen sowie Berichte einfach und effektiv verwaltet werden, und die Daten können unkompliziert mit Partnern und anderen Projektbeteiligten geteilt werden. Ein althergebrachtes, aufwändiges und ineffizientes Verwalten von Aktenbergen, die zudem für die Entscheidungs- und Abstimmungsprozesse teilweise noch immer physisch „von A nach B“ transportiert werden müssen, wird endgültig überflüssig. Die Vorteile dieses digitalen Datenmanagements sind angesichts der stetig steigenden Zahl von Dokumenten, die für Transaktionen benötigt werden, erheblich. „In meiner Anfangszeit in der Branche benötigten wir für eine Transaktion etwa 1.500 Dokumente pro Gewerbeimmobilie“, erinnert sich Burkhard Dallosch, Geschäftsführer des Bereichs Deka Immobilien. „Heute beträgt die Größenordnung eher 6.000 bis 8.500 Dokumente pro Objekt, und sie wächst weiter. Wir wollen die Voraussetzungen schaffen, um das Wachstum von morgen zu stemmen, ohne viele Mitarbeiter einstellen zu müssen. Die sind nämlich wegen des zunehmenden Fachkräftemangels rar gesät.“

Um also mit der gleichen Anzahl von Mitarbeitern die verfünffachte Zahl von Dokumenten bearbeiten zu können, sind digitale, zeit- und kostensparende technische Lösungen unverzichtbar. Aber nicht nur bei Transaktionen, auch im Bestandsgeschäft, zum Beispiel bei Anpassungen von Mietverträgen, erzeugen regelmäßige Nachträge jedes Mal eine Vielzahl neuer Dokumente.

Auch die Deka nutzt bereits die Vorteile digitaler Lösungen. Die Anforderungen an die Nutzer für Ablage und Abstimmungen reduzieren sich auf wenige Mausklicks. Es gilt das Motto: „Drag & Drop* statt Aufwand & Aktenberge“ (*das Verschieben von Dokumenten auf Computeroberflächen durch Mausklicks und -bewegungen). Diese Art von robotergesteuerter Prozessautomatisierung (RPA) gilt als zentrale Wachstumstechnologie, um die Effizienz in der Immobilienbranche deutlich zu erhöhen, da personalintensive Tätigkeiten erheblich reduziert werden.

Investmentobjekt Proptechs.

Die Ergebnisse der „Global Proptech Study 2018“ der Unternehmensberatung KPMG zeigen: Ein Großteil der Immobilienbranche ist bereits der Überzeugung, dass der digitale Wandel Auswirkungen auf ihr Unternehmen haben wird. Fast drei Viertel der Befragten sehen in solchen Innovationen eine Chance. Zugleich jedoch geben fast ebenso viele Teilnehmer (zwei Drittel) an, dass ihre Unternehmen weder über eine Vision noch eine konkrete Strategie für die digitale Weiterentwicklung ihrer Prozesse und Geschäftsmodelle verfügen. Aus dieser Diskrepanz zwischen erkannten Potenzialen und niedrigem Planungs- und Umsetzungsgrad ergeben sich die Marktchancen für Proptechs.

Kein Wunder, dass das Interesse der Investoren an den jungen Unternehmen wächst. Zwar reicht das Volumen von Proptech-Finanzierungen in Deutschland bei Weitem noch nicht an US-amerikanische und chinesische Größenordnungen heran, die sich dort in einzelnen Fällen sogar im Bereich mehrerer Milliarden US-Dollar bewegen. Doch nimmt gleichwohl die Zahl der Finanzierungsrunden hierzulande ebenso schnell zu wie das Investitionsvolumen – ein deutlicher Indikator dafür, dass sich auch in Deutschland langsam aber stetig ein Proptech-Investorenmarkt zu entwickeln beginnt. Laut dem Branchen-Leitmedium „Immobilien Zeitung“ halten „auf Proptechs spezialisierte Wagniskapitalgeber vor allem diejenigen Lösungen für besonders interessant, die die Prozesse in den Immobilienunternehmen verbessern oder bei der Digitalisierung des Gebäudes helfen“. Neben Lösungsanbietern für smarte Gebäudetechnik und Prozessoptimierungen zählen dazu auch die Anbieter digitaler Maklerleistungen.

Proptechs mit solchen vielversprechenden Geschäftsmodellen gelten als so attraktiv, dass sie häufig frei wählen können zwischen rein finanziellen Beteiligungen von Start-Up-Investoren, strategischen Partnerschaften oder einer Kombination aus beiden: Strategische Beteiligungen von starken, etablierten Partnern, mit denen auch eine operative Zusammenarbeit stattfindet und so im Idealfall gemeinsame neue Produkte und/oder Initiativen entwickelt werden können. So konnte beispielsweise Architrave bereits mehrere solcher strategischer Partner für sich gewinnen, und auch die Deka stieg im Januar diesen Jahres als Gesellschafter ein und erwarb zwölf Prozent der Anteile an dem Unternehmen. Eine strategisch weitreichende Entscheidung, denn die Deka sieht die Möglichkeit, mit Unterstützung von Architrave die Prozesse in ihrem eigenen Immobiliengeschäft weiter zu entwickeln und gleichzeitig effizienter zu gestalten. Besondere Ambitionen verbindet die Deka mit der Nutzung und Weiterentwicklung des KI-Roboters Delphi.

13_Inland_MI-2-2019_Content.max-1000x1000.png

Proptechs verändern die Immobilienwirtschaft. Junge Unternehmen wie Architrave helfen mit digitalen Lösungen, den Ressourceneinsatz bei Routinetätigkeiten im Dokumenten-Management auf ein Minimum zu reduzieren. Je mehr Dokumente verarbeitet werden, desto besser werden die selbstlernenden Programme.

Etablieren eines einheitlichen Branchenstandards.

Für Burkhard Dallosch gibt es darüber hinaus noch einen weiteren Grund für das doppelte Architrave-Engagement seines Hauses als Kunde und strategischer Partner zugleich: „Mit unserem Engagement unterstützen wir den kooperativen Ansatz von Architrave, einen branchenweiten Datenstandard bei Dokumenten und Unterlagen von Objekten in der Immobilienwirtschaft zu etablieren.“ Verfolgt wird dieses Ziel auch von der Brancheninitiative Real Estate Data Summit (REDS). Unter dem Motto „Gemeinsam Digitalisierung gestalten“ haben sich bisher insgesamt neun Immobilien-Unternehmen inklusive Architrave und Deka zusammengeschlossen. Die Initiative kooperiert mit der Gesellschaft für immobilienwirtschaftliche Forschung. Dallosch unterstreicht, wie sehr ein Branchenstandard dabei helfen würde, Kosten deutlich zu reduzieren: „Die Kosten einer Transaktion werden mittlerweile in nennenswerten Teilen von der Komplexität der jeweiligen Immobilie bestimmt. Der sinnvollste Weg, damit umzugehen, ist es, bei den Daten mehr Standardisierung zwischen den einzelnen Akteuren herzustellen. Nur wenn ein ausreichender Teil von ihnen dabei mitmacht, wird uns das gelingen.“ Er hofft daher, dass sich andere Player der Initiative anschließen und so weiteres Synergiepotenzial für die Branche erschlossen werden kann.

Die Zukunft – Kooperation oder Konkurrenz?

Proptechs stellen – ähnlich wie vor wenigen Jahren die Fintechs in der Finanzbranche – die Immobilienwirtschaft mit ihren über viele Jahrzehnte gewachsenen Prozessen und Verfahren vor eine echte Herausforderung. Doch im Gegensatz zu den meisten Fintechs in der Banken- und Finanzbranche zieht die Mehrzahl der Immobilien-Start-Ups bereits von Beginn an Kooperationen mit bereits etablierten Marktteilnehmern vor. Eine Kooperation wie zwischen der Deka und Architrave bietet beiden Seiten Vorteile. Das Proptech bekommt das nötige Kapital, um seine eigene Entwicklung voranzutreiben. Es liefert Technologie und fachliche Lösungen, ohne dabei mit den etablierten Akteuren des Marktes zu konkurrieren. Durch die Zusammenarbeit erhält es vielmehr Zugang zu zahlreichen aktiven und potenziellen Kunden. Der etablierte Anbieter wiederum erhält durch die Kooperation mit einem Proptech als gleichwertiger und verlässlicher Partner wertvolle neue Impulse für die Weiterentwicklung und Optimierung seines laufenden Immobiliengeschäftes. Entwickelt sich die Zusammenarbeit positiv, können im Idealfall gemeinsam neue Kundensegmente erschlossen, zumindest aber bestehende Prozesse effizienter und damit kostengünstiger gestaltet werden.

Burkhard Dallosch

Geschäftsführer, Deka Immobilien

Die Digitalisierung der Immobilienbranche hat bereits begonnen.

Die Immobilienwirtschaft ist verglichen mit anderen informationsbasierten Branchen eher ein Spätstarter bei der Digitalisierung. Damit bieten sich für Start-Ups, die den digitalen Wandel der Branche vorantreiben, erhebliche Chancen. Um diese Potenziale wirtschaftlich erfolgreich zu nutzen, brauchen die innovativen Ideen der Proptechs kompetente Investoren und etablierte Partner vom Fach. Darüber hinaus braucht es einen langen Atem, denn die deutsche Immobilienwirtschaft ist im Gegensatz zu anderen Branchen vergleichsweise kleinteilig und vielschichtig. Darin liegt eine nicht zu unterschätzende Herausforderung für digitale Geschäftsmodelle, die im Regelfall auf Skalierbarkeit und damit auf möglichst große Datenmengen setzen, um wirtschaftlich zu sein. Daher sind strategische Partnerschaften, die den digitalen Innovationsgeist der Proptechs mit der finanziellen Unterstützung, dem Know-how und den Marktzugängen etablierter und großer Marktplayer verbinden, ein vielversprechender Weg für alle Beteiligten. Vermutlich wird sich nicht jede innovative Idee, nicht jedes digitale Produkt und nicht jedes Proptech durchsetzen. Das ist Teil des digitalen Wandels. In der Immobilienbranche hat er gerade erst begonnen. Entsprechend groß sind die Chancen, ihn aktiv mitgestalten und Standards setzen zu können.