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Research und Märkte

Die Hoffnung auf ein neues Sommermärchen.

Die Fußball-EM in Deutschland steht vor der Tür, und kurz darauf folgen die Olympischen Spiele in Paris: Das beschert nicht nur den Sportartikel-Firmen Rekordumsätze – Sport-Großereignisse sind für viele Unternehmen ein Umsatzbooster. fondsmagazin analysiert, wie stark und nachhaltig die Auswirkungen auf diese Branchen und die Gesamtkonjunktur sind – und welche psychologische Bedeutung große Sportfeste auf die Wirtschaft haben können.

Juni 2024

Zur Jahrtausendwende war Deutschland nicht gerade ein Magnet für ausländische Touristen: Seit rund einem Jahrzehnt hatte das Statistische Bundesamt damals keinen Zuwachs mehr bei den Übernachtungen verzeichnet – um die 50-Millionen-Marke dümpelte die Rate schon seit der Deutschen Einheit 1990. Nachbarländer wie Frankreich, Polen oder Großbritannien konnten dagegen im gleichen Zeitraum stetig mehr Besucher anziehen.

Warum die steigende Reiselust in Europa an Deutschland vorbeiging? Vielleicht hatte es ja etwas mit dem Image der Deutschen im Ausland zu tun gehabt: Ordentlich und organisiert zwar, aber auch pedantisch, humorfrei und unterkühlt. Nicht zuletzt der deutsche Fußball der damaligen Zeit transportierte so ein Bild: hart, diszipliniert und gnadenlos effizient. Auch die deutschen Fans waren nicht gerade für fröhlich-kreative Fußballfeste bekannt.

Dann kam das Sommermärchen: Fußball-WM 2006 in Deutschland. Und Hunderttausende Besucher aus aller Welt sowie Millionen Menschen an den Fernsehern reiben sich verwundert die Augen. Deutsche können ja Spaß haben, unbeschwert feiern und Gäste herzlich willkommen heißen – und obwohl die Heim-Mannschaft im Halbfinale ausscheidet, geht das bunte Märchen unverkrampft weiter. In einem Land, das einlädt. Einem Urlaubsland.

Seit dem runderneuerten Bild hat Deutschland Jahr für Jahr mehr Besucher angelockt. Inzwischen liegt die Zahl fast doppelt so hoch wie Anfang der 2000er-Jahre. Ein nachhaltiger Rückenwind für die Hotellerie, Gastronomie oder Freizeitparks, Fluggesellschaften, Urlaubsregionen oder den Handel. Und damit auch für ganz Deutschland. Denn allein die touristiknahen Branchen beschäftigen fast vier Millionen Menschen und tragen laut Statistischem Bundesamt mehr als 160 Milliarden Euro zur hiesigen Bruttowertschöpfung bei.

Vitaminstoß für die Konjunktur?

Auf so einen Sommermärchen-Effekt hoffen auch 2024 wieder viele Menschen in Deutschland. In wenigen Tagen beginnen erneut vier Wochen Fußballfest an zehn Spielorten im ganzen Land. Bei der Europameisterschaft werden an jedem Spieltag eine Million Besucher erwartet, die reisen, essen, trinken, Fanartikel kaufen, übernachten und vielleicht auch noch ein wenig Urlaub dranhängen. Ein Vitaminstoß für die Konjunktur? Das wäre angesichts eines Wachstums nahe der Nulllinie märchenhaft. Und tatsächlich hatte die WM 2006 in Deutschland immerhin ein zusätzliches Wirtschaftswachstum von 0,3 Prozentpunkten des Bruttoinlandsprodukts ausgelöst und nach Angaben der Bundesanstalt für Arbeit rund 60.000 neue Arbeitsplätze geschaffen. Ein Drittel davon hatte auch längerfristig Bestand. Zahlen, über die sich die Wirtschaft in diesem Jahr schon freuen würde.

Gesamtwirtschaftlich betrachtet drücken Experten vor dem Start im Juni allerdings auf die Euphoriebremse: „Für einzelne Regionen und Branchen haben solche Ereignisse durchaus direkte und messbare Wirkung“, sagt etwa Jan-Ludwig Losen, Fondsmanager bei der Deka und Konsumindustrie-Experte. Der gesamtwirtschaftliche Effekt sei dagegen eher temporär und begrenzt. Auch der Direktor und Geschäftsführer des Hamburgischen Weltwirtschaftsinstituts (HWWI) Henning Vöpel erwartet, „dass die EM kaum eine Rolle spielt, was das Wachstum betrifft“. Der Professor für Volkswirtschaftslehre hat sich in einer Studie intensiv mit dem „Wirtschaftsfaktor Fußball“ auseinandergesetzt – und resümiert: „Selbstverständlich profitieren aber einzelne Branchen von den zusätzlichen Gästen aus dem Ausland, etwa die Gastronomie und das Hotelgewerbe.“ Die Städte hätten sich darum auch einen harten Wettkampf geliefert, Austragungsort zu sein. Mehr Autos, Maschinen oder Hochbauten würden deshalb aber 2024 wohl nicht im Inland verkauft. Das sieht auch Oliver Holtemöller, VWLProfessor in Halle-Wittenberg: „Das Wachstum 2006 war getrieben von Investitionen und vom Außenhandel.“

Die Kicker als Stimmungsaufheller.

Fakt ist: Beim Reisevermittler Trivago sind allein im Großraum München schon 400 Prozent mehr Suchanfragen als üblich für die EM-Zeit eingegangen. Die Lufthansa verkauft deutlich mehr Flüge nach Deutschland. Und der Hauptgeschäftsführer des Branchenverbandes HDE Stefan Genth hofft auf mindestens die zwei Milliarden Euro Zusatz-Umsätze, die schon das Event 2006 der Branche eingebracht hatte. Er setzt zudem auf einen Turbo für die Verbraucherstimmung im Land, insbesondere bei einem positiven Verlauf für das deutsche Team: „Dann kaufen die Menschen neben Fanartikeln wie Trikots, Schals und Hüten auch mehr Lebensmittel und Getränke zum gemeinsamen Public Viewing und Grillen“, so Genth. Auch seine Kolleginnen und Kollegen von der Brauereiwirtschaft, dem Metzgergewerbe oder aus der Hotel- und Gastwirtschaftsbranche haben ähnliche Hoffnungen geäußert.

Einen kräftigen Absatz-Schwung erwarten auch die Sportartikel-Hersteller, die sich nach den Corona-Jahren und vielen Sport-Großereignissen ohne Fans in den Stadien erstmals wieder über ein ungetrübtes Sportjahr freuen dürfen. Adidas etwa erwartet ein Umsatzplus von bis zu 20 Prozent durch die EM 2024, vor allem durch „den verstärkten Verkauf von Fanartikeln, Sportausstattung und Repliken historischer Trikots und Schuhe“.

Samba für den Umsatz.

Auch Deka-Experte Losen sieht darin einen Mehrwert. Schließlich können Sporterfolge im Trikot mit den drei Streifen, dem Puma- oder Nike-Logo immer auch Einfluss auf den Wert des Unternehmens – und damit auch seines Aktienkurses – haben. Auch der Trend, klassische Sportartikel-Serien ruhmreicher Sportler wie die „Samba“-Schuhe von Adidas neu aufzulegen, sei sehr erfolgreich.

Laut einer Studie der Beratungsfirma Brand Finance führte allein die Partnerschaft von Nike mit dem brasilianischen Fußballverband bei der WM 2018 zu einem Anstieg des Markenwertes um 6,4 Prozent. Auch Trikots aus den goldenen Zeiten Pelés haben dazu beigetragen.

Unmittelbar nach der EM beginnt in Paris ein noch größeres Sportereignis: die Olympischen Spiele. Und bei denen verbietet das Internationale Olympische Komitee weitgehend Werbebanner oder Trikotwerbung im Umfeld der Spielstätten. Deswegen sind Kampagnen für Sportartikel früherer Olympiasieger ein besonders wirkungsvolles Mittel, um um Aufmerksamkeit zu buhlen. „Die Sportartikel-Firmen nutzen die Olympischen Spiele als Plattform, um neue Produkte und Technologien zu präsentieren“, so Losen.

Olympische Großprojekte.

Bei Olympia à la française wird zudem noch ein anderer wirtschaftlicher Effekt vieler großer Sportereignisse deutlich zutage treten: Denn das zentrale Stadion und das Olympische Dorf sind im Außenbezirk Saint Denis errichtet worden, bisher eher als sozialer Brennpunkt bekannt. Drum herum ist mit zweistelligem Milliardenaufwand ein ganz neues Stadtviertel entstanden – direkt verbunden mit der City. Das war der Startschuss für einen gigantischen U-Bahnring rund um die Stadt. 200 Kilometer Schienen, vier neue Linien, 68 zusätzliche Bahnhöfe: Der Grand Paris Express wird bis Mitte des kommenden Jahrzehnts das öffentliche Netz verdoppeln. So soll Paris vor London zum größten Metropolraum des Kontinents werden – und die Region zu einem Wirtschaftsmotor Europas machen. Wahrlich ein olympisches Vorhaben. Ohne die Spiele wäre es so wohl nicht in Schwung gekommen.

Frühere Ausrichter wie Barcelona oder Athen haben durch eine infrastrukturelle Runderneuerung der jeweils stärksten Wirtschaftsregion im Land ebenfalls Langzeiteffekte auf Tourismus und Attraktivität als Standort erzielen können. Aber eine Selbstverständlichkeit ist das nicht – im Gegenteil: In der Vergangenheit mündeten nicht wenige Großereignisse wie etwa die Fußball-WM in Südafrika oder Olympia in Tokio in einem finanziellen Fiasko und den Ruinen verfallender Sportstätten. Das liege daran, „dass viele Gastgeber am Ende viel Geld für spezielle Infrastrukturen ausgeben, die nach der Veranstaltung nur von begrenztem Nutzen sind“, erläutert Martin Müller. Der Professor für Geografie und Nachhaltigkeit an der Universität Lausanne hat den Effekt solcher Mega-Spiele analysiert – und führt als Horrorbeispiel Olympia 1976 in Montreal auf. Noch 20 Jahre später mussten alle Kanadier über eine Sondersteuer eine Milliarde Dollar Schulden abstottern.

Auch deswegen wird die Fußball-EM in Deutschland kein Investitionsfestspiel: Die Verkehrsinfrastruktur an allen Stadien steht schon lange – und auch die Bauwerke selbst sind nur wenig renovierungsbedürftig gewesen. Dabei liegt der Schwerpunkt zudem auf nachhaltigen Investitionen, ein eigener staatlicher Masterplan sorgt dafür: Die Europameisterschaft soll klimaneutral sein und bei Energieversorgung, Abfallkonzept, Verkehr oder Catering allen Spielorten einen Schub an umweltfreundlichen Lösungen bringen. „So etwas zahlt natürlich auch auf die Attraktivität und Nachhaltigkeit vieler damit verbundener Branchen ein“, sagt Fondsmanager Losen. Auch ein Langzeit-Effekt, der ganze Wirtschaftsbereiche nachhaltig zukunftsfähiger macht. Es sind eben vor allem schwer messbare Soft-Auswirkungen mehrwöchiger Sportveranstaltungen, die ein Land anschieben können.

Wissenschaftler Völpel sieht gerade darin eine große Chance, die auch ganz Europa im globalen Wettstreit mit den USA, Japan oder China ökonomische Vorteile einbringen könne: „Deutschland steht wochenlang im Mittelpunkt des internationalen Interesses und kann sich als modernes, weltoffenes, freundliches Land präsentieren.“ Die größte Wirtschaftsmacht könne so für Europa werben und qualifizierte Zuwanderer anlocken. So sieht es auch Michael Hüther, Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft: „Sport-Großereignisse sind ein wichtiger Motor für die Wirtschaft: Sie schaffen Arbeitsplätze, kurbeln den Tourismus an und verbessern das Image eines Landes.“ Aus Fußball-Fans werden Freunde, aus Freunden neue Fachkräfte.

Die Schweiz gewinnt immer.

Zumindest ein Land braucht aber auf wirtschaftliche Erfolge durch globale Sportspektakel nicht nur zu hoffen; sie sind bereits garantiert – obwohl dort gar keine Spiele stattfinden: Der Schweiz werden Fußball-EM und Olympia in diesem Jahr ein konjunkturelles Extra-Wachstum von fast einem Prozent bescheren. Denn in der steuerbegünstigten Alpenrepublik sitzen der Weltfußballverband FIFA, Europas Fußballverband UEFA und auch das Internationale Olympische Komitee IOC. Und diese Organisationen verbuchen alle zwei Jahre mit dem Verkauf von Fernseh- und Markenrechten hohe Einnahmen. Bei der EM erwartet die UEFA Einnahmen in Höhe von 2,4 Milliarden Euro. „Diese Einnahmen wirken sich spürbar auf das Schweizer Bruttoinlandprodukt aus“, sagt Yngve Abrahamsen, der an Zürichs Universität zum Thema forscht. Der Konjunkturexperte weist darum für das Land seit einigen Jahren schon jeweils ein BIP mit und ohne Sportereignisse aus. Mit einem klaren Ergebnis – ob bei WM, EM oder Olympia: Die Schweiz gewinnt immer.

Quelle: fondsmagazin

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