Zum Inhalt springen
Abnahme

Trends und Innovation

Ein Motor in der Werkstatt.

Die europäische Automobilindustrie muss nicht nur den Wandel zu Elektromobilität und Digitalisierung bewältigen, sondern sich auch auf einen immer härteren globalen Wettbewerb einstellen. Börsennotierte Unternehmen investieren massiv in die Zukunft und schmieden neue Allianzen.

November 2025

Noch vor ein paar Jahren gab es hier ausschließlich Peugeots. Doch jetzt stehen der Verkäufer und sein Auto-Interessent in Neuss vor dem glänzenden, neuen Elektro-SUV einer ganz ande­ren Marke. Vollausgestattet, Leichtmetallfelgen, Panoramadach, Ledersitze – gebaut von Leapmotor aus China. „Für 33.000 Euro können Sie den haben“, strahlt der Händler den Kunden an. Der gleich große Wagen der französischen Stammmarke des Auto­hauses, ein paar Schritte weiter, dürfte es schwer haben, da mit­zuhalten. Schließlich kostet der ähnlich ausgestattete „e3008“ satte 20.000 Euro mehr als das Angebot aus Asien.

Solche Szenen spielen sich nicht nur in Europa ab, sondern spiegeln einen weltweiten Trend – chinesische Hersteller drängen mit Billigpreisen und technologischem Vorsprung in die Export­märkte. Dahinter steht eine lange Jahre vom chinesischen Staat geförderte Elektroauto-Industrie, die im Heimatland schon Millio­nen Fahrzeuge auf die Straße gebracht hat – und die diese Vor­teile der riesigen Stückzahlen, zuzüglich langjähriger Erfahrung mit der neuen Antriebstechnik und digital vernetzter Software, jetzt auch auf den alten Kontinent bringt. Über den Seeweg ge­langen monatlich Zehntausende Fahrzeuge zu günstigen Kondi­tionen nach Europa.

Die EU hat daher bereits Extra-Zölle von bis zu 38 Prozent auf China-Autos verhängt – eine Art Notwehr. Schließlich schottet sich die halbe Welt gerade mit höheren Zollbarrieren gegen Im­portware ab. In die USA bringen die Chinesen ihre Fahrzeuge an­gesichts von 100 Prozent Strafzoll daher vorerst nicht. Auch das erklärt die Offensive in Europa. Umgekehrt hängen die Europäer aber sehr an ihren Weltmarkterfolgen: Mehr als drei Viertel der in Deutschland produzierten Autos werden ins Ausland verkauft, wobei Märkte wie die USA oder Schwellenländer wesentlich ge­ringere regulatorische Anforderungen stellen als die EU. Auch deshalb drängen gerade deutsche Konzerne mit ihren Benziner-und Diesel-Premiumprodukten auf eine längere Verbrennerferti­gung in den heimischen Werken.

Im Schwitzkasten der Chinesen.

Die europäischen Hersteller sehen sich in einem Spannungsfeld zwischen technologischer Transformation und globalem Wettbe­werb: Sie müssen gleichzeitig in Elektromobilität und Digitalisie­rung investieren, während ihre Gewinnmargen schrumpfen und ihre Produktionszahlen dramatisch schwanken. Selbst der lang­jährige Börsenliebling Porsche hat daher im dritten Quartal Ver­luste gemacht, den Chef gewechselt und sich erst einmal von zweistelligen Renditen verabschiedet. Laut Stefan Bratzel, dem Direktor des Center of Automotive Management (CAM), steht die Branche vor einem „Stresstest, der über ihre Zukunftsfähigkeit entscheidet“. Dabei zeigt sich: Der Boom bei E-Autos ist in China stärker als in Europa. Dort erzielen Unternehmen zweistellige Wachstumsraten, während europäische Marken an Marktanteilen verlieren. Audi etwa will deswegen mit einer neuen Submarke speziell für das Reich der Mitte gegenhalten.

Verbrennerverbot ab 2035 im Fokus.

Auch die politische Kurskorrektur beim Thema Verbrennerverbot steht im Fokus. Die Bundesregierung plant nach dem jüngsten Autogipfel eine flexiblere Antriebsstrategie: Neue Kaufanreize und eine Verlängerung der Kfz-Steuerbefreiung sollen das Ver­trauen stärken. Auch die EU-Kommission denkt über eine Auf­weichung des Verbrennerverbots ab 2035 nach. VW-Chef Oliver Blume bezeichnet die bisherige Vorgabe als „zu starr und nicht realistisch“ und erhält Zustimmung von den Chefs von BMW, Mercedes und Renault.

Hier zeigt sich jedoch, wie zwiespältig die Lage ist. Wolfgang Ewig, Deutschland-Fondsmanager und Kenner der deutschen Au­towerte, sieht die Verzögerung des Verbrennerausstiegs kritisch: „Einerseits ermöglicht die Verschiebung den Herstellern, ihr An­gebot besser auf die Kundennachfrage abzustimmen – besonders dort, wo Infrastruktur oder finanzielle Anreize fehlen und bezahl­bare E-Auto-Modelle rar sind.“ Andererseits führe ein länger bei­behaltener Fokus auf Verbrennungsmotoren aber dazu, „dass Her­steller länger mit zwei Antriebssträngen produzieren – und dadurch geringere Skaleneffekte und Kosteneffizienzen erreichen als chine­sische Wettbewerber, die reine Elektrostrategien verfolgen“.

Deutsche Marken, made in China.

Die Politik in China hat unterdessen früh stabile und langfristige Rahmenbedingungen etabliert: Bis Ende des Jahres sollen min­destens 20 Prozent der Neuwagen elektrisch, bis 2035 soll die vollständige Elektrifizierung erreicht sein. Die Flotten im öffent­lichen Dienst sind bereits konsequent umgestellt. Bei der Pro­duktion profitieren die Hersteller zudem von äußerst niedrigen Energiepreisen und einem fast unerschöpflichen Vorrat an Selte­nen Erden, die batterie- und chipdefinierte Autos global benöti­gen. Nutznießer sind allerdings auch europäische oder US-ame­rikanische Marken: BMW, Volvo, Renault oder Mercedes exportieren längst kostengünstig in China hergestellte Fahrzeu­ge auch nach Europa und Tesla in die USA. Die Liste ist noch deutlich länger.

Die Auswirkungen des Wandels sind global spürbar. Allein in Deutschland gingen 2024 rund 50.000 Arbeitsplätze verloren, weltweit werden Millionen Jobs neu verteilt. Volkswagen will 35.000 Stellen abbauen, Audi 7500 und Porsche 4000. Auch US-amerikanische und japanische Anbieter fahren Rationalisierungsprogramme. Der Mix aus hohen Strompreisen, Steuerlast und Bürokratie bremst insbesondere EU-Zulieferer. „Lohnneben­kosten runter, Energiepreise runter, Steuern runter – sonst ver­liert Deutschland seine industrielle Basis“, mahnt Autoexperte Ferdinand Dudenhöffer. Der Wirtschaftswissenschaftler weist jedoch auch darauf hin, dass in Japan, Südkorea und den USA ähnliche Diskussionen laufen.

Trotz einiger Probleme bleibt die Autoindustrie ein zentraler Wirtschaftsfaktor und ist für Investoren nach wie vor interessant. Laut einer Reuters-Analyse planen globale Hersteller und Zuliefe­rer, bis 2030 über 450 Milliarden Euro, vor allem in E-Mobilität und Batterien, zu investieren. Mit über 100 Milliarden Euro führt VW die Liste an, dicht gefolgt von Daimler, Stellantis, Ford, Gene­ral Motors, SAIC, Tesla, Changan, Hyundai/Kia und GAC. Die In­vestitionen zielen auf Entwicklung, Produktion, Gigafactorys und Software-Digitalisierung. Anders als Volkswagen und Mercedes stoppte Porsche allerdings unlängst seine Batteriefertigung in Deutschland – ein Zeichen für die globalen Schwierigkeiten in Zei­ten sinkender Einnahmen. Das Ziel bleibt dennoch, Wertschöp­fung in Europa zu halten, Abhängigkeiten zu verringern und die Heimatmärkte zu verteidigen. So ist Volkswagen etwa nach eini­gen Jahren Rückstand nun auch bei E-Autos in Europa deutlich Marktführer.

Milliarden für die Aufholjagd.

Analysten wie Wolfgang Ewig sind optimistisch, dass der techno­logische Rückstand, der bei Elektroautos gegenüber wichtigen Wettbewerbern zuletzt entstanden war, durch die neuen E-Platt­formen wie der „Neuen Klasse“ von BMW und 800-Volt-Modellen anderer deutscher Marken wieder eingeholt werden kann. Inwie­weit jedoch den signifikanten Kostenvorteilen einiger Wettbewer­ber bei Elektromobilen erfolgreich von den europäischen Herstel­lern begegnet werden kann, ist deutlich unsicherer.

In den kommenden Monaten wird sich im Reich der Mitte entscheiden, wie erfolgreich die Aufholjagd ist. Denn rund 30 Prozent der Fahrzeuge von BMW, Mercedes und Volkswagen wurden 2024 in China verkauft. Nach wie vor genießen die deut­schen Marken dort einen guten Ruf und haben viele Stammkun­den. Nun geht es darum, die Kunden mit der Transformation und den neuen Modellen der E-Palette wiederzugewinnen – und die dortigen Wettbewerber als Partner bei Entwicklung, Fertigung und Verkauf zu gewinnen.

China-Marken, made in Europe.

Leapmotor ist da ein gutes Beispiel, denn Verkaufserfolge in Neuss, Nantes oder Neapel werden dem Wettbewerber Peugeot nicht so wehtun, wie es die Szene aus dem Autohaus vermuten ließe. Auf dem Weltmarkt macht die Peugeot-Mutter Stellantis mit den Chinesen gemeinsame Sache und verdient durch eine mehr als 60-prozentige Beteiligung am internationalen Geschäft der Asiaten an jedem verkauften Leapmotor tüchtig mit. Auch für Zulieferer wie Continental, Faurecia, Magna oder Thyssen­krupp hat die Partnerschaft der Franzosen etwas Erfreuliches: Sie können Sitze, Stoßdämpfer, Verkleidungen oder Stahl künf­tig auch nach Saragossa liefern. Dort wird Leapmotor ab dem kommenden Jahr auch den B10 und einen Wagen der Golfklas­se bauen. Denn Firmenchef Tianshu Xin weiß: „Made in Europe“ spart Strafzölle.

Quelle: fondsmagazin

Weitere interessante Artikel