Zum Inhalt springen
Abnahme

Research und Märkte

„Es muss sich jemand hinstellen und den Leuten ehrlich sagen, was Sache ist“

Zeitenwende, Infrastrukturpakete, Rentenpläne: Der Finanzierungsbedarf in Deutschland für die aufgeführten Pläne und Pakete ist eine Mammutaufgabe. Und trotz verschiedener Sondervermögen scheinen immer neue Löcher zu entstehen und die staatlichen Einnahmen nicht mithalten zu können. Prof. Dr. Thomas Eisgruber, Ministerialrat a. D. und langjähriger Referatsleiter im Bundesfinanzministerium und im Bayerischen Finanzministerium, wirft einen Blick auf die politischen Mechanismen der Finanz- und Steuerpolitik und zeigt Lösungen auf.

Dezember 2025

34 Milliarden Euro1 – so groß ist per Mitte November die Lücke, die Finanzminister Klingbeil für den Bundeshaushalt 2027 schließen muss. Dabei wächst das Steueraufkommen: 2024 konnten Bund, Länder und Gemeinden insgesamt Einnahmen von rund 948 Milliarden Euro verbuchen, ein Plus von dreieinhalb Prozent gegenüber dem Vorjahr. Auch in den vorangegangenen Jahren war eine nominale Steigerung der Steuereinnahmen zu verzeichnen. Trotzdem steigt die Nettoneuverschuldung seit der Coronapandemie wieder an, 33,3 Mrd. Euro waren es 2024.2

„Die Politik steht immer vor der Herausforderung, Ausgaben und Einnahmen zusammenzubringen. Die Schwierigkeit besteht vor allem darin, sich darauf zu einigen, auf was man künftig verzichten will“, beschreibt Prof. Dr. Thomas Eisgruber, Ministerialrat a. D. und langjähriger Referatsleiter im Bundesfinanzministerium und im Bayerischen Finanzministerium, den Konflikt. Er verweist etwa auf die ansteigenden Verteidigungsausgaben: Bis in die 1970er-Jahre hinein sei der Verteidigungsetat der größte Einzelposten im Bundeshaushalt gewesen. In den Jahrzehnten seit der Wiedervereinigung sei dann viel in den Bereich „Soziales“ umgeschichtet worden, der heute den größten Einzelposten bilde. Mit den Anforderungen, wieder mehr in die Verteidigung zu investieren, stelle sich nun die Frage, wo die Einschnitte erfolgen sollten.

„Geld ist immer da“

Problematisch sei dabei die Haltung „Geld ist immer da“, die in der Politik immer wieder anzutreffen sei: „Wenn ich das Gefühl habe, dass ich immer etwas ausgeben kann, habe ich fast automatisch immer eine Finanzierungslücke.“ In der aktuellen Bundesregierung wolle die CDU nicht mehr einnehmen (indem sie Steuererhöhungen vermeidet), während die SPD die Ausgaben nicht einschränken wolle. Die Politik gebe dann den Ministerien Ziele vor und erwarte, dass sie diese Lücke durch Kompromisse schließen.

Der nun ansteigende Finanzierungsbedarf wird durch die sich abschwächende Wirtschaft erschwert. Denn um die Unternehmen zu unterstützen, müsste hier unter anderem die Steuerlast, etwa aus Körperschaft- und Gewerbesteuer, sinken. Den Plänen der Bundesregierung zur Absenkung der Körperschaftsteuer ab 2028 um jährlich einen Prozentpunkt stellt Eisgruber dabei kein gutes Zeugnis aus: „Das ist keine Förderung der Wirtschaft. Kein Unternehmer investiert heute, weil in fünf Jahren die Steuern gesenkt werden sollen. Dann wartet er eben die fünf Jahre ab und versucht, die Gewinne nach hinten zu schieben. Damit habe ich als Staat aber jetzt keine Einnahmen.“ Im internationalen Vergleich seien die Unternehmenssteuern in Deutschland zu hoch, es fehle in der Politik derzeit jedoch an Mut für eine große Reform.

„Die Politik steht immer vor der Herausforderung, Ausgaben und Einnahmen zusammenzubringen. Die Schwierigkeit besteht vor allem darin, sich darauf zu einigen, auf was man künftig verzichten will“

Prof. Dr. Thomas Eisgruber

Ministerialrat a. D.

Spitzensteuersatz mit Luft nach oben.

Wo aber könnte das Geld für die notwendigen Investitionen herkommen? Aus der Politik wird immer wieder eine Erhöhung der „Reichensteuer“ ins Gespräch gebracht. Tatsächlich sieht Eisgruber beim Spitzensteuersatz noch Spielraum: „Eine Erhöhung von derzeit 45 Prozent in mehreren Schritten auf bis zu 48 Prozent wäre machbar und würde die Wirtschaft nicht lähmen – unter anderem, weil reinvestierte Gewinne nach Paragraph 34a des Einkommensteuergesetzes (EstG) mit einem Steuersatz von 28,25 Prozent berechnet werden können.“ Auch eine Anpassung der Umsatzsteuersätze von sieben auf zehn und von 19 auf 20 Prozent hält er für sinnvoll: „Eine solche Maßnahme würde vermutlich Zusatzerträge im zweistelligen Milliardenbereich bringen, gleichzeitig hielten sich die sozialen Verzerrungen in Grenzen.“ Aber die öffentliche Debatte, die sich bei Steuerthemen vielfach um Nebensächlichkeiten wie die Besteuerung von Tampons drehe, mache deutlich, dass Deutschland hier immer noch in einer „verzuckerten Welt“ lebe.

Einer Erhöhung der Erbschaftsteuer, die immer wieder diskutiert wird, kann Eisgruber hingegen wenig abgewinnen: „Die Diskussion über die Erbschaftsteuer ist eine über Emotionen, nicht über Geld“. Damit sei sie völlig kontraproduktiv. Aber beinahe jede Partei habe dazu etwas zu sagen. Dabei verdiene eine Steuer, die jährlich nur rund neun Milliarden Euro generiere, angesichts eines Gesamtsteueraufkommens von rund einer Billion Euro letztendlich die Aufmerksamkeit nicht. Auch die Besteuerung von Kapital hält er insgesamt für schwierig, weil Kapital sehr mobil sei. Vor allem von einem Alleingang Deutschlands bei diesem Thema rät er ab. Denn die Vielzahl an Doppelbesteuerungsabkommen berge die Gefahr, dass die Erträge nicht so ausfallen wie erwartet. Zugleich habe das Cum-Ex-Thema gezeigt, wie aus der Komplexität der Thematik heraus neue Risiken und Schäden für den Staat entstehen könnten.

Einzelfallgerechtigkeit oder Effizienz?

Der Steuerexperte ist grundsätzlich überzeugt davon, dass man auch mit einem einfacheren Steuersystem ausreichende Erträge generieren könnte. Aber: „Komplexität schreckt die Deutschen nicht ab.“ Tatsächlich seien Reformvorschläge wie die berühmte „Steuererklärung auf dem Bierdeckel“ in der öffentlichen Debatte vielfach daran gescheitert, dass man sie auf einzelne Beispielszenarien heruntergebrochen habe. „Das große Bedürfnis nach Einzelfallgerechtigkeit, das von der Politik auch immer wieder bedient wird, torpediert jegliche Bemühungen um eine Reduzierung der Komplexität und damit um mehr Effizienz.“

Insgesamt empfiehlt Eisgruber der Politik, in der Steuerdebatte ehrlicher aufzutreten: „Ich glaube, dass die Deutschen insgesamt viel resilienter sind, als man immer meint, und man ihnen auch einiges zumuten kann. Aber der Politik fehlt vielfach der Mut. Das ist wie der Arzt, der dem Patienten die Spritze nicht gibt, weil dieser schreit: Am Ende verstirbt der Patient, weil er die notwendige Spritze nicht bekommen hat. Dabei wissen die Bürger, dass der Staat Geld braucht und dass dieses von ihnen kommen muss. Sie wissen auch, dass der gestiegene Finanzierungsbedarf irgendjemandem wehtun wird. Aber es muss sich jemand hinstellen und den Leuten ehrlich sagen, was Sache ist.“

1Deutscher Bundestag − Drucksache 21/601: Finanzplan des Bundes 2025 bis 2029, 01.09.2025
2BMF Monatsbericht 2025, 30.01.2025

Weitere interessante Artikel