Research und Märkte
„Ein ausgewogenes, globales Portfolio ist noch wichtiger als früher“
Die Politik der US-Regierung bleibt ein Quell der Unsicherheit für europäische Investoren. Dabei dürften insbesondere die Auswirkungen der Zölle auf die Gesamtwirtschaft jedoch beherrschbar sein und die eigentlichen Herausforderungen für die europäische Wirtschaft woanders liegen, meint Dr. Ulrich Kater, Chefvolkswirt der Deka.
Oktober 2025
Interview mit Dr. Ulrich Kater, Chefvolkswirt der Deka.
Herr Dr. Kater, die Politik von Trump ist unberechenbar. Derzeit droht er erneut mit der Zollkeule. Gleichzeitig boomen US-Tech-Werte wieder und dennoch hat Europa aus Investorensicht in den vergangenen Monaten an Attraktivität gewonnen. Wie ist das zu bewerten?
Wir erleben einen massiven Strukturwandel, ausgelöst durch technologische Veränderungen, neue politische Rahmenbedingungen und den demografischen Wandel. Diese Faktoren führen zu einer Verlangsamung der Konjunktur und der Wachstumsaussichten.
Dennoch bleibt Europa auf dem Erholungspfad, vor allem dank fiskalischer Impulse aus Deutschland, die negative Effekte der US-Zölle nahezu ausgleichen. Unsere Analysten hatten in ihre Konjunkturaussichten schon vor Monaten eine dauerhafte Zollbelastung von zehn bis 15 Prozent eingestellt. Der Zoll-Deal von Anfang August war also keine Überraschung mehr.
Wenn es nicht die Zölle sind, wo liegen dann die beschriebenen Herausforderungen für Europas Unternehmen?
Da ist zum einen das Thema KI, also Künstliche Intelligenz, und Digitalisierung. Nicht zuletzt Deutschlands Unternehmen versuchen hier mitzuhalten, müssen aber mit einer schlechteren Infrastruktur zurechtkommen. Zum anderen müssen wir uns darauf einstellen, dass Industrieproduktion und Handel stärker innerhalb Europas stattfinden. Die Globalisierung entwickelt sich ein Stück weit zurück: Auftragseingänge aus dem außereuropäischen Ausland sind schwach, innerhalb Europas hingegen kräftig. Für Deutschland bedeutet das: neue Absatzmärkte finden oder Produktionskapazitäten kürzen – und die freigesetzten Ressourcen dann im Dienstleistungssektor einsetzen.
Lassen Sie uns zunächst über das Thema KI sprechen. Die großen US-Tech-Werte haben sich in den vergangenen Monaten wieder erholt. Ist das Rennen damit schon entschieden?
Das ist schwer zu beurteilen. Ich denke, dass gerade die großen US-Plattformen in der zweiten Jahreshälfte weiter von der KI-Story profitieren, weil die Investitionsmittel einfach da sind. Aber ab kommendem Jahr wird man verstärkt überprüfen, ob diese für 2025 prognostizierten Investitionen von rund 300 Milliarden US-Dollar nachhaltig Rendite bringen. Dann trennt sich die Spreu vom Weizen. Wichtig ist, genau zu beobachten, wo und in welchen Unternehmen diese Technologien erfolgreich zum Einsatz kommen, weil die Dynamik hoch ist. Die Gewinner von heute können in einem halben Jahr schon die Verlierer sein.
„Die geopolitischen Entwicklungen deuten auf eine noch stärkere Rolle der Diversifizierung hin“
Chefvolkswirt der Deka.
Beim Thema KI ist also noch alles offen. Welche Herausforderungen resultieren für europäische Unternehmen denn aus dem demografischen Wandel?
Der demografische Siedepunkt wird zwar erst in den 2040er-Jahren erreicht, aber die Effekte werden bereits jetzt spürbar. Steigende Ausgaben in Sozialsystemen wie Rente und Pflege stellen große Herausforderungen dar, insbesondere mit Blick auf die Verteilung der Belastungen zwischen den Generationen. Dass politische Reformen nötig sind, ist für jeden Betrachter klar.
Sie sagten, die fiskalischen Impulse aus Deutschland würden die negativen Effekte der Zölle ausgleichen. Dabei geht es ja primär um die Erhöhung der Verteidigungsausgaben und den Ausbau der Infrastruktur. Inwieweit wirkt das stimulierend auf die Gesamtwirtschaft?
Hier werden Mittel von einem Prozent des BIP in die Hand genommen, um die Verteidigungsindustrie und angrenzende Sektoren massiv auszubauen. Dazu kommt das neue Sondervermögen in Höhe von 500 Mrd. Euro für Infrastruktur. Das sind Impulse, die man durchaus für zwei bis drei Jahre im BIP messen kann. Vor allem sind Rüstungs- und Infrastrukturausgaben nicht per se unproduktives Kapital, denn von Forschung und Technologie aus dem Bereich profitieren meist auch andere Sektoren – während eine funktionierende Infrastruktur die Produktivität erhöhen kann und notwendig für die Nutzung neuer Technologien ist.
Fiskalpakete, Zölle: Bereitet Ihnen die Inflation weiterhin Sorgen?
In Europa ist die große Inflationswelle abgeklungen. Es gibt stattdessen eher preisdämpfende Effekte wie die Euro-Aufwertung und rückläufige Industriegüterpreise, die kurzfristig zu niedrigeren Inflationsraten führen sollten. In den USA hingegen sorgen die Zölle für steigende Preise, die von den Unternehmen unterschiedlich weitergegeben werden. Trump hat ihnen zugerufen: „Eat the tariffs“ – also, verarbeitet die Zölle selbst oder wälzt sie auf eure Lieferanten ab. Daran werden sich sicher nicht alle Unternehmen halten.
Damit werden die kommenden Monate für die Fed schwierig, da hohe Inflation und schwächere Konjunktur gegenläufige Signale senden. Die Fed hat zuletzt den schwachen Wachstumsaussichten mehr Bedeutung gegeben, da Zölle einmalige Inflationsimpulse sind. Trotzdem ist die Situation sehr komplex, denn es kann durchaus sein, dass sich aus den einmaligen Inflationsimpulsen längerfristige Inflationsentwicklungen ergeben. Ein möglicher Auslöser dafür könnten etwa steigende Löhne in Amerika sein, auch wenn wir davon derzeit eher nicht ausgehen.
In Europa hat zuletzt Frankreich für Unruhe gesorgt. Wie ist hier die Lage? Muss die EZB intervenieren?
Auf absehbare Zeit wird das nicht notwendig sein. Frankreich wird aber weiter unter genauer Beobachtung der Märkte bleiben. Die hohen Schuldenstände in Kombination mit den hohen laufenden Haushaltsdefiziten und der Unfähigkeit zu echten Reformen stellen keine Grundlage für eine nachhaltige Entspannung in den Risikoaufschlägen dar. Die Hürde für ein Auslösen des Transmission Protection Instrument (TPI) mit einem Aufkauf von Anleihen durch die EZB liegt jedoch deutlich höher.
Wie stark leidet denn die Anleiheseite unter diesen Unsicherheiten bezüglich der Zinsen?
Mittelfristig sind die Aussichten positiv – gerade langlaufende Anleihen bieten wieder attraktive Risikoprämien. Kurzfristig ist aber tatsächlich Vorsicht geboten, denn neue Inflationsdaten oder eine mögliche Senkung der Leitzinsen im Herbst könnten die Renditen nochmals steigen lassen.
Gilt für Investoren also doch: lieber Europa statt Amerika?
Auf geopolitische oder zollpolitische Entwicklungen gibt es keine Ausweichstrategie. Investoren müssen insgesamt damit rechnen, dass das Wachstum und damit auch die Gesamtrendite aus Aktien in den kommenden zehn Jahren etwas geringer ausfällt als ohne Zölle. Allerdings sind die Effekte begrenzt, und die geopolitischen Entwicklungen deuten eher auf eine noch stärkere Rolle der Diversifizierung hin. Ein ausgewogenes, globales Portfolio ist noch wichtiger als früher. Es gibt keinen Grund, nicht in Amerika zu investieren. Und es gibt auch keinen Grund, jetzt alles nach Europa zu schaufeln. Denn ein wirklicher Politikwechsel findet hier nicht statt.
Sind Schwellenländer eine Alternative?
Keine Alternative, aber auf jeden Fall eine Ergänzung. Viele Emerging Markets sind widerstandsfähiger gegen externe Schocks geworden. Sie haben gefestigtere Finanzmärkte und bessere Institutionen, das heißt einen sichereren Halt im Welthandelssystem als früher. Mit Blick auf die Diversifikation im Portfolio – die heutzutage wichtiger denn je ist – können sie eine sinnvolle Ergänzung sein.
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