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Die HEUBECK-Richttafeln – nach sieben Jahren immer noch angemessen?
Die Berechnung künftiger Renten und der zur Finanzierung nötigen Rückstellungen in der betrieblichen Altersvorsorge hängt in hohem Maße auch von den Daten der Sterbetafeln von HEUBECK ab. Doch welche Informationen stellen diese eigentlich bereit und sind die derzeitigen Tafeln, deren Daten noch aus 2018 stammen, noch aktuell? Um diese Fragen zu beantworten, hat Dr. Friedemann Lucius, Chefaktuar der HEUBECK AG, die Sterbetafeln einer Realitätsprüfung unterzogen und die Prognosen für die vergangenen Jahre mit den empirischen Daten verglichen.

August 2025
Von sechs Beitragszahlern pro Rentner im Jahr 1960 auf anderthalb im Jahr 2050 – die Notwendigkeit für zusätzliche Vorsorge durch künftige Rentner ist offensichtlich. Ein für die Arbeitnehmer besonders attraktives Modell ist die betriebliche Altersvorsorge (bAV). Doch auch diese steht vor regulatorischen, wirtschaftlichen und politischen Herausforderungen, resümiert Dr. Friedemann Lucius, Chefaktuar der HEUBECK AG, auf dem „Deka Forum betriebliche Altersversorgung“. Allerdings sieht er auch große Möglichkeiten für die bAV – höchste Zeit also, einen Blick auf die HEUBECK-Richttafeln zu werfen, die Datengrundlage zur Berechnung vieler Zahlungsverpflichtungen in der bAV.
Komplexe Zusammenhänge und Szenarien.
Wie gut bilden die Tafeln die heutige Realität ab? Und wie hat sich die Sterblichkeit seit der Veröffentlichung der Tafeln im Jahr 2018 entwickelt? Wie wirkt sich Corona aus? 1948 erstmals herausgegeben, ist das Ziel der Richttafeln, Unternehmen Daten zur Verfügung zu stellen, mit denen sie die bilanziellen Verpflichtungen aus Direktzusagen nach steuerlichen, handelsrechtlichen und internationalen Rechnungslegungsgrundsätzen bewerten können, macht Dr. Friedemann Lucius klar: „Ausgangsfrage für die Richttafeln ist immer: Welcher Betrag muss Jahr für Jahr reserviert werden, um damit die späteren Zahlungsströme finanzieren zu können? Dabei sind die Tafeln mehr als nur reines Zahlenwerk, sondern müssen komplexe Zusammenhänge und unterschiedliche Szenarien abbilden, die in sich konsistent sind.“ Sie beinhalten nicht nur Einschätzungen darüber, wann die Menschen eines bestimmten Jahrgangs sterben, sondern berücksichtigen auch die verschiedenen Lebensrealitäten. So können Menschen nicht nur zu Altersrentnern werden, es besteht zudem die Möglichkeit, dass sie vorzeitig sterben und Unternehmen Hinterbliebenenleistungen zahlen müssen, dass sie Anspruch auf Leistungen durch Invalidität erwerben oder das Unternehmen mit unverfallbaren Anwartschaften verlassen. Diese Themen bilden die Tafeln ganzheitlich ab.
Grundlage dafür sind die Daten der Deutschen Rentenversicherung sowie von Destatis. Hier zeigt sich bereits die erste Herausforderung, denn bisher basierten die Richttafeln immer nur auf Zahlen für Westdeutschland, da in den neuen Bundesländern keine entsprechende Datenbasis für die betriebliche Altersvorsorge vorhanden war. Mittlerweile veröffentlicht die Deutsche Rentenversicherung jedoch nur noch gemeinsame, gesamtdeutsche Informationen in dem für die Erstellung der Richttafeln erforderlichen Detailierungsgrad. In den neuen Bundesländern haben sich die Sterblichkeitsverhältnisse in den letzten Jahren soweit an die Verhältnisse in Westdeutschland angeglichen, dass eine Umstellung auf die gesamtdeutsche Perspektive ohne Verwerfungen möglich ist.
„Für eine Analyse der Richttafeln von 2018 vergleichen wir die tatsächlich beobachteten Häufigkeiten mit den prognostizierten Werten der Tafelwerte für die Jahre 2016 bis 2023“, erläutert Dr. Lucius. „Auf den ersten Blick mag man meinen, dass wir erst mit dem Jahr 2018 beginnen sollten – allerdings basieren die Richttafeln 2018 auf Daten von 2011 bis 2016. Daher ist es sinnvoll, die Analyse bereits mit dem Jahr 2016 zu beginnen.“ Da für die korrekte Schätzung der künftigen Zahlungsströme nicht nur relevant ist, wie viele Personen durch Tod wegfallen, sondern vor allem, wie hoch die Rentenansprüche der Verstorbenen waren, müssen die Todesfälle basierend auf der abgehenden Rente gewichtet werden. „Diese Informationen werden von der Rentenversicherung jedoch nur an Forschung und Wissenschaft herausgegeben“ führt der Chefaktuar aus. „Für die Richttafeln wurden die anzahlgewichteten Sterblichkeiten auf der Grundlage einer wissenschaftlichen Studie mit einem sogenannten ‚Sozioökonomischen Faktor‘ pauschal in rentenhöhengewichtete Sterblichkeiten umgerechnet. Diesen müssen wir vor der Analyse – die nur auf Kopfzahlen basiert – wieder herausrechnen“.
Höhere Sterblichkeit – aber weniger Invalide.
Die Analyse zeigt dabei, dass die erwartete Sterblichkeit der Altersrentner und Altersrentnerinnen mit der tatsächlichen Sterblichkeit in den Jahren 2016 bis 2020 nahezu identisch ist, während sie danach insbesondere in den Alterskohorten 65 bis 80 und 90 bis 100 deutlich divergiert. „Die Richttafeln gehen davon aus, dass die Sterblichkeit stetig abnimmt. Die empirischen Daten weisen jedoch insbesondere in den Coronajahren eine höhere Sterblichkeit als erwartet aus, die vor allem in den hohen Altersgruppen deutlicher ausfällt“, analysiert Dr. Lucius. Gleichzeitig zeigten die Daten auch eine allgemeine Zunahme der Sterblichkeit der Rentner aus den Geburtsjahrgängen ab ca. 1942/43 – sowohl in absoluten Zahlen als auch relativ zu den Erwartungen der Richttafeln. „Es handelt sich bei den Rentnern und Rentnerinnen um die Generationen aus der Zeit des Kriegsendes und der Zeit danach – es ist möglich, dass sich hier sogenannte Kohorteneffekte realisieren, bei denen sich externe Faktoren auf eine ganze Generation auswirken.“ Welche das sein könnten, sei jedoch unklar. Gleichzeitig hätten diese Abweichungen so gut wie keine materielle Bedeutung: „Abweichungen in den jungen Jahren sind relativ unbedeutend, da es sich um sehr kleine Wahrscheinlichkeiten handelt, wohingegen Abweichungen im hohen Alter kaum noch ins Gewicht fallen, da die Bestände bereits sehr klein sind. Die relevanten Altersbereiche liegen zwischen ca. 80 bis 90 Jahren; hier wirkt sich die Verlängerung der Lebenserwartung am stärksten aus. Dieser Altersbereich wird von unseren Richttafeln weiterhin recht gut abgebildet.“
Die Untersuchungen der Hinterbliebenensterblichkeit weisen vergleichbare Ergebnisse auf. Im Gegensatz dazu zeigt sich bei der Analyse der Invalidisierungswahrscheinlichkeiten eine deutliche Abnahme der Invalidisierungsfälle, die sich im Zeitablauf verstärkt. Mögliche Erklärungen dafür können laut Lucius strukturelle Veränderungen wie die Verlagerung von körperlicher zu geistiger Arbeit und ein besserer Arbeitsschutz sowie die positive konjunkturelle Entwicklung bis 2020 sein: „Historisch lässt sich beobachten, dass vermehrt Menschen in die Invalidität geschickt wurden, wenn es konjunkturell schlecht lief. Die gute wirtschaftliche Situation in den vergangenen Jahren kann sich hier also durchaus positiv auf die Invalidenraten ausgewirkt haben.“ Corona-Effekte seien bisher noch nicht zutage getreten. Dies sei aber aufgrund der oft mehrjährigen Anerkennungsverfahren für Erwerbsminderungsrenten auch nicht zu erwarten gewesen.
Einschätzung der künftigen Entwicklung komplexer.
Insgesamt zeige die Analyse, dass die Richttafeln 2018 weiterhin für die bilanzielle Bewertung angemessen seien, fasst Chefaktuar Dr. Lucius zusammen: „Die Abweichungen der empirischen Daten von den Sterbetafeln sind in ihren Auswirkungen auf den Verpflichtungsumfang größtenteils materiell nachrangig und im Hinblick auf steuerliche, handelsrechtliche und internationale Bewertungen insofern unkritisch. Eine Aktualisierung der Richttafeln 2018 ist daher aus aktuarieller Sicht derzeit nicht angezeigt.“ Diese Feststellung sei wichtig. Denn Zweifel an den Richttafeln könnten für Unternehmen äußerst unangenehme Konsequenzen haben, nämlich dann, wenn die Wirtschaftsprüfer die Höhe der Rückstellungen deswegen unmittelbar in Frage stellen. Abgesehen davon gäbe es einige Faktoren, die eine regelmäßige Überprüfung und Neuauflage der Richttafeln durchaus sinnvoll erscheinen ließen: „Die Einschätzung der weiteren Entwicklung der Lebenserwartung wird zunehmend komplexer – nicht zuletzt der Klimawandel und die Wohlstandsentwicklung sind mögliche Faktoren, die sich auf die Prognosen auswirken. Daher mehren sich die Stimmen, die sich für eine regelmäßige Neuauflage der Tafeln aussprechen, auch wenn aus Sicht der Daten noch kein zwingender Anpassungsbedarf besteht.“
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