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Abnahme

Impuls

„Corporate Governance ist kein Selbstzweck“

Die Auswirkungen der aufziehenden neuen globalen Weltwirtschaftsordnung auf Handel, Unternehmenspolitik und Standorte sind das Top-Thema auf vielen Hauptver­sammlungen in diesem Jahr. Henriette Peucker, Geschäfts­führende Vorständin des Deutschen Aktieninstituts, spricht im Interview über die Zukunft der Aktienkultur und eine europäische Initiative für das Sparen und Anlegen an der Börse.

Juni 2025

Interview mit Henriette Peucker, Geschäfts­führende Vorständin des Deutschen Aktieninstituts.


Zölle rauf, Zölle runter – Kurse hin und her: Diese Haupt­versammlungs-Saison wird von den Turbulenzen an den Börsen überschattet. Das macht es wahrscheinlich gerade noch etwas anspruchsvoller, die Aktienkultur in Deutsch­land stärker zu verankern?

Diese Aufgabe ist kein Sprint, sondern ein Marathon. Und da liegen wir gut im Rennen. Denn trotz Turbulenzen lag die Zahl der Anlegerinnen und Anleger in Aktien, Aktienfonds und ETFs in den letzten fünf Jahren stabil über zwölf Millionen. Damit legt jeder sechste Erwachsene in Deutschland direkt oder indirekt in Aktien an. Und das, obwohl in dieser Zeit die Corona- Pandemie, der russische Angriffskrieg auf die Ukraine und die angesichts der Inflation vollzogene Zinswende der Zentralban­ken die Börsen ein ums andere Mal auf Achterbahnfahrt ge­schickt haben. Erfreulich ist außerdem, dass wir einen Zuwachs jüngerer Anleger an der Börse erleben: In den letzten zehn Jahren hat sich die Zahl der Aktienanleger unter 40 Jahren ver­doppelt.

Vielleicht sind volatile Zeiten ja nur eine Hochphase für Nachwuchs-Börsenzocker?

Im Gegenteil – diese Zeiten belegen gerade die Vorteile der lang­fristigen Perspektive: Ein Drittel aller Anlegerinnen und Anleger investiert konstant per Sparplan in Aktien, was sie unabhängiger von kurzfristigen Turbulenzen an der Börse macht. Ich sehe aber keinen Grund, sich gemütlich auszuruhen. Denn es gibt noch ei­niges zu tun – und hier ist insbesondere die Politik am Zug.

Die sollte doch eigentlich mit Fakten zu überzeugen sein? Vielleicht befürchten manche Börsenskeptiker ein Zeitalter des wachsenden Protektionismus, das diese jahrzehnte­langen Vorteile der Vermögensbildung über Unterneh­menspapiere erschüttert?

Die langfristigen Renditevorteile der Aktienanlage sind un­schlagbar. Unsere Renditedreiecke auf den Dax, den MSCI World oder auch den EuroStoxx zeigen für die vergangenen 50 Jahre trotz verschiedener politischer und wirtschaftlicher Krisen eine durchschnittliche Rendite von sechs bis neun Prozent im Jahr. Eine breit gestreute Aktienanlage hat sich also langfris­tig sehr robust gezeigt. Ich bin fest davon überzeugt, dass sich künftig daran nichts ändern wird. Dennoch hilft es der Markt­entwicklung, wenn Märkte offen sind und Rechtsrahmen ver­lässlich.

Henriette Peucker

ist seit Juli 2024 Geschäftsführende Vorständin des DAI, das die Interessen von Unternehmen und Institutionen am deutschen Kapitalmarkt in Politik, Öffentlichkeit und Ver­waltung vertritt. Sie verfügt über langjährige Erfahrung in den Bereichen Kapitalmarkt, im Investmentbanking und politischer Kommunikation. Vor ihrer Tätigkeit beim DAI arbeitete sie als Politikberaterin, bei Banken und in der Ge­schäftsführung des Bundesverbandes deutscher Banken.

Die aktuellen Bilanzzahlen, die auf vielen Hauptversamm­lungen präsentiert werden, sehen zumindest noch nach heiler Welt aus. Erwarten Sie, dass diese grundsätzliche Entwicklung der vergangenen Jahre trotz der genannten Turbulenzen so weitergeht?

Auch hier antworte ich mit Fakten: Dividenden sind eine oft unterschätzte Möglichkeit der Anleger, um Jahr für Jahr ein Zu­satzeinkommen zu erwirtschaften. Beispielsweise betrug der Anteil der Dividenden bei europäischen Aktien in den letzten 40 Jahren mehr als ein Drittel der Gesamtrendite. Auch hier kommt es also auf die langfristige Perspektive an. Da die Unternehmen Interesse an einer Dividendenkontinuität haben, wird sich dieser Trend hoffentlich auch in wirtschaftlich turbulenten Zeiten fort­setzen.

Und wie steht es um Umweltschutz, soziale Verantwor­tung, transparente und gute Unternehmensführung? Bei diesen ESG-Kriterien zeigt sich die neue US-Regierung in Bereichen wie Diversity oder Klimaschutz geradezu ablehnend – und drängt manche Unternehmen sogar zu einem Rollback.

Augenmaß ist doch überall gefragt: Es braucht in der EU bei den gesetzlichen ESG-Anforderungen mehr Fokus. Zudem gilt es, sicherzustellen, dass Unternehmen darüber hinaus nicht weitere Berichtspflichten haben, die sich aus Bankenregulierung und Berichtspflichten von Finanzdienstleistern speisen.

Bei den Kriterien für nachhaltiges Wirtschaften von Unternehmen sollte man also keine Bürokratie-Monster gebären.

Ganz genau. Bei den Anforderungen an die Transparenz etwa sollten immer die Investorenbedürfnisse im Fokus stehen; als rei­ner Selbstzweck dienen sie niemandem.

Ein anderer Wunsch des DAI ist eine staatlich geförderte Alterssicherung über den Aktienmarkt. Wie stehen da die Chancen unter Schwarz-Rot mit dem Kanzler Merz?

Im Koalitionsvertrag der neuen Regierung finden sich zwei Vor­schläge, die in die richtige Richtung zeigen: Die Riester-Rente soll in ein neues Vorsorgeprodukt überführt werden. Dabei sollen kei­ne Garantien mehr erforderlich sein, was der Aktienanlage mehr Spielraum gibt. Und Kinder sollen mit der Frühstart-Rente ab der Einschulung automatisch ein staatlich gefördertes Aktiendepot bekommen, damit sie im Alter eine zusätzliche Rente erhalten. Wir werden uns dafür einsetzen, dass dieses Konzept ein unbüro­kratisches Erfolgsmodell wird.

Schlägt das DAI noch weitere Aktien-Sparformen vor?

Wir haben uns in anderen Ländern umgeschaut. In elf EU-Staaten gibt es steuergeförderte Anlagesparkonten, mit denen die Men­schen mit Aktien und anderen Wertpapieren langfristig Vermö­gen aufbauen können. Das Konzept ist einfach und bestechend: In Frankreich und Italien können diese Anlagesparkonten bis zu einem Höchstbetrag bespart werden. Die Erträge sind dann nach fünf Jahren steuerfrei. In Schweden gibt es weder Grenzen für den Sparbetrag noch eine Haltefrist. Pro Jahr werden die Erspar­nisse auf den Konten pauschal mit einem minimalen Satz versteu­ert, der aktuell bei rund einem Prozent auf das Volumen liegt. Für kleine Ersparnisse gibt es Freibeträge. Mehr als jeder dritte Schwe­de spart über dieses Anlagesparkonto, was neben der Aktienan­lage in der Altersvorsorge dazu beigetragen hat, dass in Schwe­den der Aktienbesitz mittlerweile eine Selbstverständlichkeit ist. Neben einer stärkeren Nutzung von Aktien in der Altersvorsorge brauchen wir in Deutschland ein Anlagesparkonto.

Vielleicht brauchen wir auch einfach beim Aktiensparen mehr gesamteuropäische Lösungen? Sie befürworten ja am Kapitalmarkt eine Spar- und Investitionsunion. Was ist das genau?

Die EU braucht mehr Innovationskraft, damit wir unseren Wohl­stand sichern können und nicht von den USA und China abge­hängt werden. Leistungsfähige Kapitalmärkte sind ein ideales Instrument der Innovations-finanzierung. Dementsprechend ist die Spar- und Investitionsunion sehr zu begrüßen. Unser Vorschlag an die EU ist daher, dass sich die Mitgliedstaaten das Ziel setzen, jähr­lich ein Volumen in Höhe von zwei Prozent der Bruttolöhne in den Aufbau eines Kapitalstocks in der gesetzlichen Rente zu investie­ren. Zusätzlich sollte ein EU-Label für ein „Long Term Savings Product“ alle Mitgliedstaaten motivieren, ein Anlagesparkonto einzuführen. Schließlich ist es notwendig, die regulatorischen Auflagen abzubauen, um den Börsengang und die Börsennotiz attraktiver zu machen.

Klingt nach viel Überzeugungsarbeit – auch in der Öffent­lichkeit? Die Beteiligung an Realwerten über die Börsen hat, wie es scheint, noch viel Aufklärung nötig.

Aktien sind ja nicht nur ertragsstarke Anlageinstrumente, sie be­deuten gleichzeitig Teilhabe an den Erfolgen der Wirtschaft. Wa­rum machen wir also nicht die gesamte Bevölkerung zu Teilha­bern? In Ländern wie Schweden ist das längst der Fall. In Deutschland haben wir noch ein gutes Stück Weg zu gehen – aber er lohnt sich.

Quelle: fondsmagazin

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