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Zeitenwende an den Kapitalmärkten – Ist der Moment für ein De-Risking von Pensionsverpflichtungen gekommen?

Die unerwarteten Zinserhöhungen der Zentralbanken haben eine Zeitenwende an den Kapitalmärkten eingeleitet. Unternehmen mit betrieblichen Pensionszusagen müssen durch die gestiegene Zinsdynamik mit einer deutlich höheren Bilanzvolatilität rechnen. Ist der Moment für die Auslagerung ihrer Verpflichtungen gekommen? Dr. Alexander Zanker, Leiter Institutional Consulting Solutions, erläutert, wie Unternehmen die gestiegenen Zinsen für ein De-Risking ihrer Pensionsverpflichtungen nutzen können.

September 2022

Am 8. September hat die EZB die größte Zinserhöhung ihrer Geschichte gewagt. Die Zinsänderungen betreffen Unternehmen auch abseits von der Kreditaufnahme. So hängen die bilanzielle Bewertung und die Ertragssituation von Unternehmen direkt von der Zinshöhe an den Finanzmärkten ab. In der Niedrigzinsphase der vergangenen Jahre sind beispielsweise die Rückstellungen für Pensionsverpflichtungen massiv gestiegen. „Vor dem Hintergrund des aktuellen Zinsanstiegs sollten sich Unternehmen daher mit Absicherungsstrategien wie der Ausfinanzierung von Pensionszusagen auseinandersetzen“, so Dr. Alexander Zanker, Leiter Institutional Consulting Solutions der Deka. „Insbesondere mit Blick auf die gestiegene Zinsvolatilität besteht deutlicher Handlungsbedarf.“

Besonders relevant ist in diesem Zusammenhang die betriebliche Altersversorgung der Unternehmen. Arbeitgeber mit einer direkten betrieblichen Pensionszusage (defined benefit) müssen Rückstellungen in ihrer Bilanz bilden. Für die Berechnung der Höhe der Pensionsrückstellungen wird der Barwert der Pensionszusage mit einem Diskontfaktor abgezinst, dem sogenannten Rechnungszins. Während Unternehmen, die nach IFRS bilanzieren, als Rechnungszins einen laufzeitäquivalenten Marktzins (üblicherweise Firmenanleihen mit AA-Ratings) ansetzen müssen, wird in der HGB-Bilanzierung hierfür ein zehnjähriger Durchschnittszins der Deutschen Bundesbank verwendet. Die Höhe der Rückstellungen hängt damit direkt von dem jeweils aktuellen Zinsniveau ab – je niedriger der Zinssatz, desto höher der Barwert der zu bildenden Rückstellungen und umgekehrt. „Da Rückstellungen bilanziell als Schulden behandelt werden, müssen sie mit dem Fremdkapital ausgewiesen werden. Somit können niedrigere Zinssätze zum Anstieg des Verschuldungsgrades und zur Verschlechterung zentraler Bilanzkennzahlen wie der Eigenkapitalquote führen“, erläutert Dr. Zanker. Ein gestiegener Verschuldungsgrad wiederum bedeutet eine geringere Bonität, möglicherweise sogar eine Herabstufung des Ratings und häufig höhere Fremdfinanzierungskosten.

Zunehmende Unsicherheit erschwert Planung und schafft neue Begehrlichkeiten.

Doch auch steigende Zinsen könnten die Bilanzen der Unternehmen belasten. 2022 haben die Zentralbanken eine Kehrtwende vollzogen und begonnen, die Leitzinsen zu erhöhen. Damit sind auch die langfristigen Zinsniveaus gestiegen, die den Rechnungszins prägen. Für Pensionsverpflichtungen im IFRS-Kontext mit einer Duration von 15 Jahren hat sich der Rechnungszins per Ende Juli 2022 gegenüber Ende 2021 um knapp 1,5 Prozentpunkte erhöht, von 1,31 auf 2,75 Prozent (Quelle: Mercer). Dies bedeutet, dass sich der bilanzielle Wert der Pensionsrückstellungen im gleichen Zeitraum um 20 bis 25 Prozent verringert hat. Diese Verringerung der Pensionsverpflichtungen entlastet die Bilanzen von IFRS-bilanzierenden Unternehmen aktuell deutlich. Allerdings werden hierdurch bilanzielle Erträge geschaffen, die bei Anteilseignern, Arbeitnehmervertretern oder der Politik Begehrlichkeiten wecken können. Dies ist insofern problematisch, als diesen rein buchhalterischen Erträgen keine tatsächlichen Zahlungsströme, sondern höhere bilanzielle Risiken sowie in Zukunft meist deutlich höhere Belastungen aus den Pensionsleistungen gegenüberstehen.

Für Unternehmen, die ihre Leistungszusagen nach HGB bilanzieren, stellt sich die Lage indes anders dar: So ist der HGB-Rechnungszins in den ersten sieben Monaten des Jahres 2022 von 1,87 auf 1,78 Prozent gesunken (Quelle: Mercer). Dies ist durch die Verwendung des Durchschnittszinses bedingt, welcher erst noch die Jahre sinkender Zinsen verarbeiten muss. Auch wenn das Marktzinsniveau weiter steigt, wird der 10-jährige Durchschnitt in den nächsten Jahren vorerst weiter sinken. Betroffene Unternehmen werden in diesem Jahr voraussichtlich doppelt getroffen: durch steigende Verpflichtungen auf der Passiv- und sinkende Marktwerte auf der Aktivseite. In der Zukunft werden Unternehmen mit einer deutlich höheren Bilanzvolatilität rechnen müssen: So lassen etwa die schwächeren Wachstumsaussichten nicht unbedingt zusätzliche Zinserhöhungen erwarten – die erhöhte Inflation hingegen schon. Je nach Szenario kann sich die Verpflichtungssituation völlig unterschiedlich entwickeln, wie die untenstehende Übersicht anhand verschiedener Beispiele verdeutlicht.

Wie können institutionelle Investoren reagieren?

Unternehmen können zur Reduzierung ihrer finanziellen Belastungen aus Pensionsverpflichtungen eine Rücklage in Form von Kapitalanlagen bilden und diese in ein Treuhandkonstrukt einbringen. Durch die Saldierung von Anlagen und Verpflichtungen wird eine Verkürzung der Bilanz erreicht. Zudem können die Unternehmen im Rahmen eines Asset-Liability-Managements, in dem die Kapitalanlage an den Verpflichtungen und deren Bewertungsrisiken ausgerichtet wird, ihre Bilanz gegen Schwankungen der Höhe von Pensionsrückstellungen immunisieren und Liquiditätsrisiken reduzieren. „Es spricht vieles dafür, dass jetzt der richtige Zeitpunkt ist, die Hedging-Level anzuheben und einen konkreten Plan zu entwerfen, um dieses Level bei Erreichen bestimmter Trigger im Zinsniveau weiter zu erhöhen“, so Dr. Zanker. „Anleger mit Leistungszusagen können durch den Aufbau von Planvermögen, welches auf die Verpflichtungen abgestimmt wird, bilanzielle Risiken deutlich reduzieren. Hierbei muss allerdings zwischen IFRS- und HGB-Verpflichtungen unterschieden werden.“

Bilanzielles Risiko reduzieren durch Erhöhung des Ausfinanzierungsgrades.

Steht die Verringerung von bilanziellen Risiken im Vordergrund, kann durch eine Anlage, die kongruent zu den Durationen der Verpflichtungen verläuft, der Absicherungsgrad erhöht werden. Insbesondere bei Verpflichtungen im Rahmen von IFRS kann hierzu der aktuelle Zinsanstieg sehr effektiv genutzt werden. Aufgrund der höheren Zinsen ist der Verpflichtungsbarwert signifikant niedriger – wodurch ein substanzieller Ausfinanzierungsgrad sehr viel leichter darstellbar ist, da bis zu 20 Prozent weniger Planvermögen aufgewendet werden muss als noch vor ein paar Monaten. Das Kapital kann dann verstärkt in Anleihen mit höherer Duration investiert werden, die aktuell wieder deutlich positive Zinsen bieten. Bei einer passgenauen Umsetzung schwanken in Folge die Verpflichtungen und das Anlagevolumen gleichförmig. Hierdurch wird die Volatilität des Ausfinanzierungsgrades und damit das bilanzielle Risiko wirksam reduziert.

Für Unternehmen, die nach HGB bilanzieren, steigen dagegen die Verpflichtungen: Obwohl das Marktzinsniveau weiter steigt, wird der Durchschnittszins in den nächsten Jahren vorerst weiter sinken. Doch auch hier kann mit einer Ausfinanzierung das bilanzielle Risiko reduziert werden. Allerdings ist es wichtig, bei der Kapitalanlage auf eine geringere Zinssensitivität als bei IFRS zu achten, damit bei einem potenziellen Zinsanstieg nicht sowohl die Anlage- als auch die Verpflichtungsseite belastet werden. Bei aktuell geringer gewordenen Risikobudgets auf der Aktivseite bietet es sich für HGB-bilanzierende Unternehmen an, ein De-Risking in der Form einer Umallokation von risikoreichen Anlagen wie Aktien und High-Yield-Anleihen hin zu risikoärmeren Anlageklassen mit langfristig höherem Verpflichtungsbezug durchzuführen. Als Anlageklasse kommen dafür vor allem EUR-Unternehmensanleihen mittlerer Duration mit Investment-Grade-Rating in Betracht. Auch wenn für die Unternehmen aktuell eine höhere Zinsduration auf der Aktivseite ökonomisch sinnvoll sein könnte, überwiegt in den nächsten Jahren die Gefahr weiter steigender Zinsen und damit steigender Verpflichtungen auf der Passiv- und sinkender Marktwerte auf der Aktivseite. Dies wäre gerade in einem erschwerten wirtschaftlichen Gesamtumfeld belastend. In der Praxis werden daher vielfach verstärkt Total-Return-Strategien mit einer dynamischen Allokationssteuerung eingesetzt. Bei der Festlegung der Zielrendite ist dabei der noch zu erwartende Rückgang des Rechnungszinses zu berücksichtigen.

Durch den Aufbau von Planvermögen, das für die Erfüllung von Pensionsansprüchen bereitsteht, kann eine Verringerung von Liquiditätsrisiken erreicht werden. In der Praxis wird hierzu das Auszahlungsprofil analysiert. Ziel ist es, Auszahlungsspitzen mit hinreichend liquidem Kapital zu belegen. Hierbei ist auf Korrelationseffekte zwischen dem operativen Geschäft und dem Kapitalmarkt zu achten. Je höher die Korrelation, desto höher sollte der Absicherungsgrad der Auszahlungsspitzen sein. Das hierfür reservierte Planvermögen muss entsprechend fristenkongruent in eher liquide Titel investiert werden.

Möglichkeiten für De-Risking und Ausfinanzierung dank Zinsanstieg.

„Unternehmen bietet sich aktuell ein geeigneter Zeitpunkt, um ihre Pensionsverpflichtungen auszufinanzieren“, fasst Zanker die Situation zusammen. „Durch den Zinsanstieg sind die Pensionsverpflichtungen gesunken, wodurch weniger Planvermögen benötigt wird.“ Dabei stellt sich automatisch die Frage nach der passgenauen Kapitalanlage und einem möglichen De-Risking, d.h. einer Umallokation von risikoreichen Anlagen hin zu risikoärmeren Anlageklassen. Am wichtigsten ist es, zunächst Transparenz für eine evidenzbasierte Entscheidung zu schaffen, so Zanker: „Mit dem Deka Strategy Navigator können wir Investoren transparent aufzeigen, wie sich der Ausfinanzierungsgrad in unterschiedlichen Szenarien verhält. Wir beziehen dabei konsistent die Entwicklung der Verpflichtungen und der Kapitalanlage ein und können vollständige Asset-Liability-Analysen für jede Situation durchführen. Allerdings gilt für alle Unternehmen gleichermaßen, dass die gestiegenen Zinsen derzeit eine gute Gelegenheit für ein De-Risking der Pensionsverpflichtungen bieten.“

Potenzielle Szenarien und Auswirkungen auf die Pensionsverpflichtungen.

Szenario 1: Notenbanken bekommen Lage in den Griff
Szenario 2: Hohe Inflation und weiter steigende Zinsen
Szenario 3: Rezession und deutlich fallende Zinsen

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